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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Ohr. Ich war in Gedanken im Akazienwäldchen, eines von vier fröhlichen Kindern, die dort spielten und herumtollten, als gäbe es kein Morgen. Nur leider sah ich diese Bilder mit den Augen Colins und nicht so, wie ich selber sie vielleicht in Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich dieser unbekümmerten Spiele so wenig, wie ich mich seiner Schwester Martha und meines Bruders Thomas erinnerte.
    »Du hast überhaupt keine Erinnerung daran, nicht wahr?« hörte ich ihn behutsam sagen.
    »Wie bitte?« Ich sah auf und bemerkte, daß er mich mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. »Ach, ich war damals noch so klein. Hast du denn Erinnerungen an die ersten fünf Jahre deines Lebens?«
    »O ja, eine ganze Menge.«
    Ich senkte die Lider und starrte ins Feuer. Wieder empfand ich dieses Unbehagen. Wie zuvor bei Anna hatte ich auch jetzt bei Colin das Gefühl, daß er nicht sagte, was er wirklich dachte.
    Impulsiv stand ich auf und ging zum Kamin, über dem ein sehr großer alter Spiegel hing. Nicht nur mich konnte ich darin sehen, sondern auch das Zimmer hinter mir und Colin in seinem Sessel, scheinbar in lässiger Pose und doch so angespannt.
    Nun ja, für diese Leute war ich wahrscheinlich ein Gespenst aus der Vergangenheit. Ich hatte große Ähnlichkeit mit meiner Mutter, das gleiche schwere schwarze Haar, die gleiche helle Haut. Aber meine Lippen sahen im Spiegel grau und farblos aus, und meinen Augen fehlte der Glanz. Meine Mutter war eine Schönheit gewesen, ich war es nicht; schon gar nicht jetzt, da Anstrengung und Verwirrung mein Gesicht zeichneten. Hatte ich auch so am Bahnhof in London ausgesehen, als Edward mich gebeten, fast angefleht hatte, nicht zu fahren? Hatte er in dieses bleiche, leblose Gesicht geblickt, als er beteuert hatte, der Gedanke an meine Schönheit werde ihm an einsamen Abenden Trost sein? Der gute Edward. Es war so gar nicht seine Art, in aller Öffentlichkeit seine Zuneigung zu beteuern. Immer höflich, stets sich der Formen bewußt, das war Edward, der vollendete Gentleman im Gegensatz zu meinem Vetter Colin, diesem ungehobelten Flegel.
    Colin bemerkte mein Lächeln, und ich glaube, einen Moment lang war er verärgert. »Du amüsierst dich?«
    Ich drehte mich um. »Ich habe nur an etwas Angenehmes gedacht.«
    »Aus der Vergangenheit?«
    »Nein, an meinen Verlobten.«
    »Du bist verlobt?« Mit einem Ruck fuhr er in die Höhe. »Ja, überrascht dich das?«
    »Und der Mann hat dich allein hierher reisen lassen?« Ich kehrte zu meinem Sessel zurück und setzte mich. »Nur weil ich darauf bestand. Er wollte mich nicht reisen lassen. Aber ich mußte hierher kommen. Nur dieses eine Mal wenigstens. Meine Mutter ist tot. Ihr tut es nicht mehr weh, und ich wollte das Haus und die Familie wiedersehen, ehe ich heirate.«
    Colin legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und sah mich nachdenklich an. Ich schien ihn auf einen interessanten Gedanken gebracht zu haben. Seine nächste Frage überraschte mich. »Wieso glaubst du, dein Besuch bei uns hätte deiner Mutter weh getan?«
    »Ich weiß nicht… es war nur so ein Gefühl.«
    »Hat sie dir von uns erzählt?«
    »Nein, nichts.«
    »Als wollte sie vergessen, daß es uns gibt…«
    »Entschuldige, Colin, aber ich denke, das kann man ihr nicht verübeln. Als meine Mutter von hier fortging und nach London zog, war sie völlig mittellos und ohne jede Hilfe. Sie mußte ganz allein ein Kind großziehen und sehen, wie sie damit zurecht kam. Jahrelang hat sie sich als Hausschneiderin abgemüht, für reiche Frauen genäht, die sie schlimmer behandelten als ihre eigenen Domestiken. Sie war eine Frau aus bester Familie, die das Leben einer kleinen Arbeiterin führte. Meine Mutter war mit einem Pemberton verheiratet gewesen, ich war eine Pemberton, und dennoch lebten wir acht Jahre lang in Armut, während die Pembertons wie die Fürsten lebten.« Ich machte eine umfassende Geste. »Deine Bitterkeit ist nicht berechtigt, Leyla. Du darfst nicht vergessen, daß es deine Mutter war, die uns verließ; nicht wir sie. Niemand wußte, wohin sie gegangen war, als sie damals plötzlich verschwunden war und ihre gesamte Habe hier zurückgelassen hatte. Wir wußten nur, daß sie fort war und dich mitgenommen hatte. Und wir haben nie wieder von ihr gehört. Bis zum heutigen Tag.«
    Ich starrte ihn zornig an. Ich konnte die Bitterkeit, die ich empfand, nicht verleugnen. Sie hatten nicht nach uns gesucht, sonst hätten sie uns gefunden. Unser Schicksal hatte sie nicht

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