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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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im böigen Wind ihre Arme schüttelten. Ihre braunen Blätter fielen raschelnd auf die Beete herab, auf denen tote Blumen ihre Köpfe hängenließen. Vögel kreischten am dunkler werdenden Himmel. Als die Sonne am Horizont verschwand, hatte Pemberton Hurst plötzlich den unheimlichen Charakter, den die Einheimischen ihm zuschrieben.
    Mir wurde immer banger, mein Impuls umzukehren immer stärker. Jetzt, da ich nach vielen Jahren wieder hier war, meiner Kindheit gewissermaßen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, hielt mich etwas zurück. In der Geborgenheit meiner kleinen Londoner Wohnung hatte die Vorstellung, das alte Haus wiederaufzusuchen, etwas Verlockendes gehabt. In der Eisenbahn sitzend, hatte ich in Bildern von opulenten Festessen und alten, offenen Kaminen, in denen wärmende Feuer loderten, geschwelgt. Nun aber fragte ich mich ängstlich, ob meine Erwartungen nicht enttäuscht werden würden. Doch der Drang zur Rückkehr war stärker als meine Ängste. Ich wollte Antworten auf die Fragen, die mich bedrängten, und die, so schien mir, würde ich nur in Pemberton Hurst bekommen. Noch stärker jedoch als meine Neugier war der Wunsch, wieder zu einer Familie zu gehören. Zwanzig Jahre zuvor, im selben Jahr, als Prinzessin Victoria zur Königin von England gekrönt worden war, war ich von einem Tag auf den anderen aus meinem Zuhause gerissen, meiner Familie beraubt worden, um von nun an unter Fremden zu leben.
    Die Sehnsucht nach einem Zuhause war der wahre Grund meiner Rückkehr an diesem Tag. Ich wollte meine Familie wiedersehen, ganz gleich, wie fremd sie mir vielleicht geworden war; und ich wollte mir meine Vergangenheit zurückerobern, ehe ich in die Zukunft aufbrach. Langsam stieg ich die breite Treppe hinauf. Vor der schweren Eichentür angekommen, zögerte ich jedoch erneut. Nicht die geringste Erinnerung regte sich. Gehörten nicht Treppen, dachte ich mit einem Blick zurück, zu den liebsten Spielplätzen kleiner Kinder? Wie kam es dann, daß ich jetzt, wo ich hier stand, keinerlei Erinnerung daran hatte, auf dieser schönen alten Treppe mit meinem Bruder Thomas gespielt zu haben? Diese Umgebung hätte doch Bilder der Erinnerungen auslösen müssen; wie kam es, daß mir alles so fremd war, als wäre ich nie in meinem Leben hier gewesen?
    Ich ließ die Hand, die schon auf dem schweren Türklopfer lag, noch einmal sinken. Noch konnte ich diesem Haus den Rücken kehren und nach London zurückfahren, wo Freunde auf mich warteten. Ich kannte keinen der Menschen in diesem Haus; ich hatte nicht einmal den Anflug einer Erinnerung, der mir etwas über sie hätte sagen können. Wie würden sie mich aufnehmen, eine Fremde, die ihren Namen trug und von ihrem Blut war? Würden sie mir wie einer Fremden begegnen, oder würden sie mich freudig willkommen heißen und in ihre Arme schließen?
    Wieder fiel mir der Brief ein, den meine Großtante Sylvia an meine Mutter geschrieben hatte. In gewisser Weise war er eine Einladung, der zu entnehmen war, daß diese Menschen mich erwarteten. Nun, nach dem Tod meiner Mutter, die hier gelebt hatte, war es meine Pflicht ihr und den Pembertons gegenüber, dem Ruf des Briefs zu folgen. Vielleicht hätte ich telegrafieren sollen. Vielleicht hätte ich mit einem kurzen Brief ankündigen sollen, daß ich anstelle meiner Mutter kommen würde. Doch ich hatte es für unangemessen gehalten, der Familie den Tod meiner Mutter auf so unpersönlichem Weg mitzuteilen. Und Großtante Sylvia verdiente, auch wenn ich sie nicht kannte, wenigstens eine persönliche Erwiderung auf ihre Bitte.
    Ich schluckte die letzten Zweifel hinunter, straffte entschlossen die Schultern und griff zum Türklopfer. Als er dröhnend auf das alte Holz fiel, spürte ich, daß meine Handfläche schweißnaß war. Es schien mir ewig zu dauern, ehe die Tür geöffnet wurde. Dann aber hörte ich das Knirschen des Riegels, und gleich darauf fiel ein Lichtstrahl auf mich, der so hell war, daß ich einen Moment blinzeln mußte; im nächsten Augenblick sah ich vor mir die dunkle Silhouette einer fülligen Frau.
    »Guten Tag«, sagte ich. »Ich bin Leyla Pemberton. Würden Sie bitte meiner Tante Sylvia sagen, daß ich hier bin.«
    Die Frau sagte keinen Ton. Ich dachte schon, ich hätte nicht laut genug gesprochen und meine Worte seien im Heulen des Windes und im Seufzen der Bäume untergegangen. Gerade, als ich meine Worte wiederholen wollte, fragte die Frau mit schroffer Stimme: »Sie sind Leyla Pemberton?« Es klang

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