Lockruf des Verlangens (German Edition)
Dokumente auf den großen Wandbildschirm hoch und gab Henry einen Überblick über den genauen Stand der verfügbaren Männer und Waffen. »Am schwierigsten wird es sein, das Gebiet einzunehmen, das die Wölfe ihr ›Territorium‹ nennen, aber ich arbeite schon an einer Lösung.«
Henry nickte und beließ es dabei. Vasquez wäre kaum von Nutzen, wenn er nicht selbstständig denken könnte – eine Tatsache, die auch Henrys Frau Shoshanna lieber beherzigen sollte, wenn es um ihre Ratgeber ging. Sie umgab sich mit Lakaien, die einer wie der andere strohdumm waren. Deshalb konnte Henry diese Operation planen, während Shoshanna noch dachte, sie habe die Zügel in der Hand. »Gibt es irgendwelche Probleme, über die ich Bescheid wissen sollte?«
»Nein.«
»Dann sehen wir uns in einer Woche wieder.«
Erst nachdem Vasquez gegangen war, öffnete Henry ein weiteres Dokument auf dem Monitor. Um seine Kapitalanlagen stand es wieder einmal schlechter, als es wünschenswert gewesen wäre. Er brauchte keinen Finanzexperten, um zu wissen, wer ihm allmählich den Hahn zudrehte – Nikita Duncan hatte es in Bezug auf finanzielle Manipulation zu einer wahren Meisterschaft gebracht. Doch obwohl die Verluste problematisch waren, konnten sie ihn nicht aufhalten. Bald würde er San Francisco einnehmen und damit das Fundament von Nikitas Imperium vernichten.
Was die Gestaltwandler betraf … die konnte man nicht am Leben lassen, denn sie boten steten Widerstand. Glaubten tatsächlich, sie befänden sich außerhalb der Reichweite des Rats, und wagten sogar, einen Hybriden zu zeugen, halb Medialen, halb Gestaltwandler. Falls das Kind jemals zur Welt käme, würden die geistigen Fähigkeiten verkümmern, die die Gattung der Medialen zur mächtigsten auf diesem Planeten machten.
Henry konnte und würde das nicht zulassen.
Die Welt musste endlich zu dem Zustand zurückkehren, der über hundert Jahre geherrscht hatte. Denn so sollte es sein: Makellose Mediale sollten herrschen, und die anderen Gattungen nur existieren, solange sie sich den Regeln der Medialen unterwarfen. Überall auf der Welt sollte man bei dem Gedanken an SnowDancer-Wölfe und DarkRiver-Leoparden stets vor Augen haben, welche blutigen Folgen Widerstand haben konnte. Das war Henrys größter Wunsch.
4
Drei Tage nach dem Vorfall mit Sienna und Maria wurde Hawke von einem kleinen Gesicht mit großen Augen aufgehalten. Er ging in die Hocke, um sich den kleinen Kerl genauer anzuschauen. »So ernst heute, Ben?«
Der Fünfeinhalbjährige, einer von Hawkes Lieblingen, nickte. »Haste echt Sinna einsperrt?«
Hawke biss sich auf die Lippen. »Ja.«
Die braunen Augen, die Ben von seiner Mutter hatte, wurden noch größer. »Warum?«
»Sie hat die Regeln nicht eingehalten.«
Ben dachte einen Augenblick nach, die weiche Kinderstirn legte sich in Falten. »Ist das Auszeit für Große?«
»Ja.«
»Aha.« Er nickte. »Muss ich Marlee erzählen.«
»Ist Marlee denn traurig?« Das Mädchen war Siennas Cousine und auch ein Teil des Rudels – Hawke durfte nicht zulassen, dass sie verletzt wurde.
Ben schüttelte den Kopf. »Ihr Vater sagt, Sinna war böse und is deshalb einsperrt, aber Marlee sagt, du tust so was nich, Sinna is nur mucksch und will keinen sehen.«
Nachdem Hawke Bens Worten gefolgt war und die Erklärung letztlich auch begriffen hatte, stand er auf und zerzauste das Haar des Jungen. »In ein paar Tagen ist sie wieder draußen.«Und würde im Kindergarten arbeiten, was ihr bestimmt nicht unangenehm war. Der ihr angeborene Beschützerinstinkt machte es ihr leicht, auf die Jungen aufzupassen, auch wenn sie keine Wölfin war. Und die Jungen fühlten sich aufgehoben bei ihr.
Die Arbeit im Kindergarten war also nicht schlimm für sie. Schlimm war die Tatsache, dass er sie von den Aufgaben abgezogen hatte, die bei ihrem Rang von ihr erwartet wurden – und damit allen zeigte, dass er ihr diese Arbeit nicht mehr zutraute. Ein harter Schlag für den Stolz, den sie wie eine Rüstung trug, aber sein Wolf kannte ihren eisernen Willen, ihre unbeugsame Kraft. Sienna würde nicht akzeptieren, dass irgendetwas sie zerstörte, schon gar nicht Hawke. Schon aus Prinzip nicht.
Dieser Gedanke ließ den Wolf feixend die Zähne fletschen. »Ab nach Hause, Benny.«
Das Junge versuchte, mit ihm Schritt zu halten, auf kurzen Beinchen rannte er neben ihm her. »Wo gehst du hin?«
»Raus.«
»Kann ich mit?«
»Nein.«
»Warum nich?«
Hawke beugte sich vor und klemmte sich Ben
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