Lockruf des Verlangens (German Edition)
sie musste dem Befehl des Leitwolfs gehorchen, auch wenn sie Sienna gern beigestanden hätte. Hawke gefiel diese Loyalität viel zu sehr, als dass er sie für ihr kurzes Zögern zurechtgewiesen hätte.
Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter Maria ins Schloss – in dem totenstillen Büro klang das wie ein Pistolenschuss. Hawke wartete auf eine Reaktion von Sienna. Doch sie rührte sich nicht.
Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte ihr Gesicht ins Licht. »Noch mal Glück gehabt. Dein Jochbein hätte leicht gebrochen sein können.« Die Haut unter ihrem Auge schimmerte in sämtlichen Purpurtönen. »Weitere Verletzungen?«
»Mir geht es gut.«
Er griff fester zu. »Weitere Verletzungen, raus mit der Sprache.«
»Maria hast du auch nicht gefragt.« Trotzig und stur.
»Maria ist eine Wölfin, sie kann fünfmal mehr aushalten als eine Mediale und wäre immer noch auf den Beinen.« Deshalb hatte er Sienna auch befohlen, körperliche Auseinandersetzungen mit den Wölfen zu meiden. Ein weiterer Grund war, dass sie ihre todbringenden Fähigkeiten nicht vollkommen unter Kontrolle hatte. »Spuck’s endlich aus oder ich sperre dich wirklich zu den Zweijährigen. Darauf kannst du Gift nehmen.« In der Krippe eingesperrt zu sein war äußerst demütigend. Sienna zitterte vor Wut.
»Geprellte Rippen«, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Geprelltes Brustbein, verrenkte Schulter. Gebrochen ist nichts. Müsste nach einer Woche wieder in Ordnung sein.«
Er ließ ihr Kinn los. »Streck die Arme aus.«
Sie zögerte.
Sein Wolf knurrte so laut, dass sie zusammenzuckte. »Von Anfang an habe ich dir viel zu viele Freiheiten gelassen. Aber jetzt ist Schluss damit.« Befehlsverweigerung wurde bei Jugendlichen bestraft und vergeben. Bei einer Erwachsenen, einer Soldatin noch dazu, war es ein weit schwereres Vergehen. Sienna wurde bald zwanzig, hatte sich in den Reihen der Rekruten bereits einen Rang erworben, er konnte ihr das einfach nicht durchgehen lassen. »Streck die verdammten Arme aus!«
Diesmal musste sein Ton den Ausschlag gegeben haben, denn sie gehorchte. Ein paar kleine Schrammen, aber keine tiefen Kratzer, wie Krallen sie schlugen. »Dann hat Maria ihre Wölfin zurückgehalten.« Falls nicht, hätte er sie sofort zurück ins Training geschickt. Es war eine Sache, seine Wut nicht zu beherrschen, aber wenn man seinen Wolf nicht beherrschte, konnte es böse enden.
Sienna ließ die Arme sinken und ballte die Fäuste.
Wieder sah er in schwarze Augen, in denen flüssige Lava wogte. Offensichtlich musste sie sehr an sich halten, um nicht auf ihn loszugehen. »Wie weit bist du gegangen?«, fragte er sie. Ihre Selbstkontrolle war beeindruckend – und das ärgerte ihn mehr, als ihm lieb war. Doch wann war ihm der Umgang mit Sienna Lauren je leichtgefallen?
»Ich habe keine medialen Fähigkeiten eingesetzt.« Unter der Schlammkruste traten die Nackenmuskeln hervor. »Sonst wäre Maria jetzt tot.«
»Deshalb hast du auch mehr Ärger als sie.« Als er den Laurens nach ihrer Abkehr vom kalten Medialnet Zuflucht gewährt hatte, war das unter bestimmten Bedingungen geschehen. Unter anderem war es ihnen verboten, ihre geistigen Fähigkeiten gegen Rudelgefährten einzusetzen.
Seitdem hatte sich einiges geändert, und die Laurens waren ein auf allen Ebenen akzeptierter Teil des Rudels. Siennas Onkel Judd war sogar Offizier und schützte die Wölfe mit seinen telepathischen und telekinetischen Fähigkeiten. Den beiden jüngsten Familienmitgliedern, Siennas Bruder Toby und ihrer Cousine Marlee, hatte Hawke nie Fesseln angelegt, denn sie brauchten die geistigen Krallen, um sich gegen ihre raubeinigen Spielgefährten zu schützen.
Doch für Sienna durfte es keinen Freiraum geben. Hawke wusste, wozu sie fähig war. Sobald Judd dem Blutbund der Offiziere beigetreten war, hatte ihm die Loyalität dem Leitwolf gegenüber nicht mehr erlaubt, Geheimnisse vor ihm zu haben.
»Aber warum?«, fragte Sienna mit hochgerecktem Kinn. »Ich habe mich doch zurückgehalten.«
Natürlich gab sie nicht gleich klein bei. »Aber«, sagte er und hielt ein Knurren gerade noch zurück, »du hast den ausdrücklichen Befehl missachtet, dich nicht auf einen Kampf einzulassen – obwohl du dich ihm hättest entziehen können, das hast du selbst zugegeben.«
Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. »Hättest du das denn getan?«
»Hier geht es nicht um mich.« Früher war er ein Hitzkopf gewesen und hatte
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