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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Schaum blasser malven- und chromgelber herbstlicher Wegrandblumen; und durch diese Lücke konnte man ein schimmerndes Stück der School Rd. sehen, einer Parallelstraße unserer Thayer St., und gleich dahinter den Sportplatz der Schule. Abgesehen von der psychologischen Annehmlichkeit, die dies Arrangement mir insofern verschaffen konnte, als es Dollys Tag mit dem meinen in Verbindung hielt, sah ich sofort das Vergnügen voraus, von meinem im Arbeitszimmer stehenden Bett aus mit Hilfe eines mächtigen Fernglases den statistisch unvermeidlichen Prozentsatz an Nymphchen unter den anderen kleinen Mädchen herauszuerkennen, die in der großen Pause um Dolly herumspielten; unglücklicherweise kamen gleich am ersten Schultag Arbeiter und errichteten ein Stück weiter hinten in der Lücke einen Zaun, und in kürzester Zeit erhob sich hinter ihm boshaft ein Bau aus graugelbem Holz, der mir meine zauberhafte Aussicht vollständig versperrte; und sobald sie genug Material verbaut hatten, um alles zu verderben, unterbrachen diese absurden Bauarbeiter ihr Werk und erschienen nie wieder.

5
    In einer Straße namens Thayer Street, in der grünen, rehbraunen und goldenen Wohngegend eines dezenten Universitätsstädtchens, war es unausweichlich, daß einem dieser oder jener ein paar höfliche meteorologische Grußworte zuraunzte. Ich war stolz auf die genau richtige Temperatur meiner Beziehungen zu ihnen: nie unhöflich, immer Abstand haltend. Mein westlicher Nachbar, der Geschäftsmann oder Universitätsprofessor oder beides hätte sein können, sprach mich manchmal an, während er späte Gartenblumen barbierte oder seinen Wagen wässerte oder, später im Jahr, seine Auffahrt enteiste (wenn diese Verben alle falsch sind, ist mir das auch egal), aber mein abgehacktes Grunzen, eben deutlich genug, um wie konventionelle Zustimmung oder interrogative Pausenfüllung zu klingen, schloß jede Kumpelhaftigkeit aus. Von den zwei Häusern, die das kurzlebige Gestrüppgelände gegenüber flankierten, war eines verrammelt, und das andere enthielt zwei Englischprofessorinnen, die in Tweed gekleidete, kurzhaarige Miss Lester und die verwelkt-weibliche Miss Fabian, deren einzige Themen bei unseren kurzen Bürgersteiggesprächen (Gott segne ihren Takt!) der junge Liebreiz meiner Tochter und der naive Charme Gaston Godins waren. Meine östliche Nachbarin war bei weitem die gefährlichste, eine spitznasige Person, deren verstorbener Bruder als Referent für Immobilien und Liegenschaften mit dem College liiert gewesen war. Ich weiß noch, wie sie Dolly auflauerte, während ich am Wohnzimmerfenster stand und fieberhaft darauf wartete, daß mein Herzblatt aus der Schule nach Hause kam. Die abscheuliche alte Jungfer, die ihre krankhafte Neugier hinter einer Maske zuckersüßen Wohlwollens zu verbergen suchte, stand auf ihren dünnen Schirm gestützt (der Graupelschauer hatte gerade aufgehört, eine kalte, nasse Sonne war herausgerutscht), und vor ihr stand Dolly, trotz des rauhen Wetters im offenen braunen Mantel, den austarierten Bücherpacken gegen den Magen gestemmt, die Knie rosa über den plumpen Gummistiefeln, und während ab und an ein törichtes, verängstigtes leises Lächeln über ihr Stupsnasengesicht huschte, das - vielleicht des blassen, winterlichen Tageslichts wegen - fast nichtssagend wirkte, auf eine ländlich deutsche Art fade, versuchte sie, mit Miss Osts Fragen fertig zu werden: «Und wo ist deine Mutter, liebes Kind? Und was ist dein armer Vater von Beruf? Und wo habt ihr früher gewohnt?» Ein andermal kam die hassenswerte Kreatur mit einer weinerlichen Begrüßung auf mich zu - aber ich entwischte ihr; und ein paar Tage daraufkam ein Briefchen von ihr in einem blaugerandeten Umschlag, eine hübsche Mischung von Gift und Sirup, mit der Aufforderung, Dolly solle doch sonntags einmal herüberkommen, es sich im Sessel bequem machen und «die Haufen schöner Bücher ansehen, die meine liebe Mutter mir schenkte, als ich Kind war, anstatt bis tief in die Nacht das Radio mit voller Lautstärke laufen zu lassen».
    Vorsicht war auch bei Mrs. Holigan geboten, einer Art Zugehfrau und Köchin, die ich zusammen mit dem Staubsauger von den Vormietern geerbt hatte. Ihr Mittagessen bekam Dolly in der Schule, so daß es keine Mühe machte, und in der Zubereitung eines großen Morgenfrühstücks und im Aufwärmen des Abendessens, das Mrs. Holigan vor dem Weggehen kochte, hatte ich selber einiges Geschick erworben. Diese freundliche und harmlose Frau

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