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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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Weltschmerz.)
    Aus Gründen, die auf der Hand liegen, zog ich für unsere Schachpartien, die zwei- bis dreimal wöchentlich stattfanden, unser Haus dem seinen vor. Er sah wie ein altes, lädiertes Götzenbild aus, wie er so dasaß, die schwammigen Hände auf den Knien, und auf das Brett starrte, als wäre es eine Leiche. Schnaufend konnte er zehn Minuten lang überlegen - um dann einen selbstmörderischen Zug zu machen. Oder der Gute gab nach noch längerem Nachdenken ein Au roi! von sich, das wie das langsame Wauwau eines alten Hundes klang, gefolgt von einem gurgelnden Kehllaut, bei dem seine Gallertbacken bibberten; und wenn ich ihn dann darauf aufmerksam machte, daß er selber im Schach sei, zog er die Zirkumflexe seiner Augenbrauen hoch und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    Manchmal konnte ich in dem kalten Arbeitszimmer, wo wir saßen, Los bloße Füße unten im Wohnzimmer Ballettschritte üben hören; aber Gastons Außensinne waren vom Spiel beruhigend benommen, und diese nackten Rhythmen drangen nicht bis zu ihm durch -und eins und zwei und eins und zwei, Gewicht auf das gestreckte rechte Bein, das andere Bein hoch und zur Seite, und eins und zwei -, und erst, wenn sie zu springen begann, die Beine auf der Höhe des Sprungs spreizte und dann, ein Bein gebeugt, das andere gestreckt, durch die Luft flog und auf den Zehen landete, erst dann fing mein bleicher, pompöser, gramvoller Partner an, seinen Hinterkopf oder seine Wange zu reiben, als verwechsle er die dumpfen fernen Laute mit den schrecklichen Attacken meiner furchterregenden Königin.
    Manchmal kam Lo hereingelatscht, wenn wir über dem Schachbrett brüteten - und es war jedesmal ein Genuß, Gaston zu beobachten, wie er, die Elefantenaugen immer noch auf seine Figuren geheftet, sich feierlich erhob, ihr die Hand schüttelte und ihre schlaffen Finger gleich wieder losließ, ohne sie auch nur einmal anzusehen, dann in seinen Stuhl zurücksank und geradewegs in die Falle taumelte, die ich ihm gestellt hatte. Nachdem ich ihn über zwei Wochen lang nicht gesehen hatte, fragte er mich irgendwann in der Weihnachtszeit: «Et toutes vosfillettes, elles vont bien?» Ich ersah daraus, daß er meine einzige Lolita mit der Zahl der Textil-genres multipliziert hatte, die seine gesenkten, schwermütigen Augen während einer ganzen Serie ihrer Auftritte erspäht hatten: Bluejeans, ein Rock, Shorts, ein wattierter Morgenmantel.
    Es widerstrebt mir, so lange bei dem armen Kerl zu verweilen (betrüblicherweise wurde er ein Jahr später auf einer Europareise, von der er nicht zurückkehrte, in eine sale histoire verwickelt, ausgerechnet in Neapel!). Ich hätte ihn wahrscheinlich überhaupt nicht erwähnt, hätte seine Beardsleyer Existenz nicht in einem so
    merkwürdigen Kontrast zu meinem eigenen Fall gestanden. Ich brauche ihn zu meiner Verteidigung. Da war er, bar jeder wie auch immer gearteten Begabung, ein mittelmäßiger Lehrer, eine Null als Gelehrter, ein mürrischer, abstoßender, fetter alter Invertierter, der die amerikanische Lebensweise tief verachtete, stolz war auf seine Unkenntnis der englischen Sprache - da war er in diesem tugendhaften Neu-England, umschwärmt von den Alten, liebkost von den Jungen - oh, es ging ihm großartig, und alle führte er hinters Licht; und hier war ich.

7
    Ich stehe jetzt vor der unerquicklichen Aufgabe, Bericht über Lolitas entschieden sinkende Moral zu erstat-i ten. Ihr Anteil an den Liebesgluten, die sie entfachte,
    war nie der Rede wert gewesen, aber nackte Habgier war bisher nicht zutage getreten. Ich war jedoch .. schwach, ich war nicht ldug, mein Schulmädchen-Nymphchen hielt mich in Bann. Je geringer ihre menschliche Anteilnahme wurde, desto größer wurde meine Leidenschaft, meine Zärtlichkeit, meine Qual; und das nutzte sie aus.
    Ihr wöchentliches Taschengeld, gezahlt unter der Bedingung, daß sie ihren elementaren Verpflichtungen nachkomme, betrug zu Beginn der Beardsley-Ara einundzwanzig Cent und stieg zum Schluß auf einen Dollar fünf. Das war eine mehr als großzügige Regelung, wenn man bedenkt, daß sie dauernd alle möglichen kleinen Geschenke von mir bekam und jede Süßigkeit oder jeden Kinobesuch unter der Sonne, wenn sie mich nur i darum bat - obwohl ich natürlich schon einmal einen Zusatzkuß oder sogar eine ganze Sammlung ausgewählter Liebkosungen forderte, wenn ich wußte, daß es sie nach dem einen oder dem anderen jugendlichen Ver gnügen ganz besonders gelüstete. Es war jedoch nicht leicht,

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