Lolita (German)
hatte gottseidank ein ziemlich getrübtes Auge, dem Einzelheiten entgingen, und ich war mittlerweile Experte im Bettenmachen geworden; und doch konnte ich mich nie von dem Gefühl freimachen, daß irgendwo ein verhängnisvoller Fleck zurückgeblieben war oder die einfältige Lo bei den seltenen Gelegenheiten, da sie und Mrs. Holigan zur gleichen Zeit im Hause waren, im Verlauf einer gemütlichen Plauderei in der Küche dem drallen Zauber des Weibsbildes verfiel. Es kam mir oft vor, als wohnten wir in einem erleuchteten Glashaus und als könne jeden Augenblick ein dünnlippiges Pergamentgesicht durch ein leichtsinnigerweise unverhülltes Fenster spähen, um einen kostenlosen Blick auf etwas zu werfen, für dessen Betrachtung der ausgebuffteste Voyeur ein kleines Vermögen gezahlt hätte.
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Ein Wort über Gaston Godin. Der Hauptgrund, warum ich seine Gesellschaft mochte - oder sie wenigstens mit Erleichterung hinnahm -, war das Fluidum absoluter Sicherheit, das seine breite Gestalt über mein Geheimnis breitete. Nicht, daß er es gekannt hätte; ich hatte keinen besonderen Anlaß, ihm zu vertrauen, und er war viel zu sehr mit sich selber beschäftigt und zu zerstreut, um etwas zu bemerken oder zu vermuten, das zu einer offenen Frage seinerseits und einer offenen Antwort meinerseits hätte führen können. Er sagte Beardsleyanern Positives über mich, er war mein guter Herold. Hätte er mes goûts und Lolitas Status erfahren, es hätte ihn nur insofern interessiert, als es ein Licht auf die Unbefangenheit meiner Haltung ihm gegenüber geworfen hätte, einer Haltung, die ebenso frei war von höflichem Krampf wie von schlüpfrigen Anspielungen; denn wenn sein Geist auch farblos war und sein Gedächtnis unscharf, so entging es ihm wahrscheinlich doch nicht, daß ich mehr über ihn wußte als die guten „Leute von Beardsley. Er war ein schwabbliger, teigge-sichtiger, melancholischer Junggeselle, der sich nach oben in schmale, nicht ganz gleich hohe Schultern und einen kegelförmigen Birnenkopf verjüngte, auf dessen einer Seite glattes schwarzes Haar wuchs, während auf der anderen nur ein paar Strähnen klebten. Aber der untere Teil seines Körpers war enorm, und auf phänomenal dicken Beinen schritt er mit einer kuriosen, ele-fantenhaften Vorsicht einher. Er trug immer Schwarz, und schwarz war sogar seine Krawatte; er badete selten; sein Englisch war die reinste Burleske. Und nichtsdestoweniger fanden ihn alle über die Maßen liebenswert, einen liebenswerten Kauz! Die Nachbarn verhätschelten ihn; er kannte alle kleinen Jungen im Umkreis bei Namen (er wohnte ein paar Ecken weiter), und manche von ihnen ließ er seinen Bürgersteig kehren, im Garten hinter dem Haus welkes Laub verbrennen, Holz aus dem Schuppen holen und sogar einfache Hausarbeit für ihn verrichten, und dann bot er ihnen in der Heimlichkeit einer orientalisch möblierten Kellerhöhle, an deren schimmligen, teppichbehängten Wänden amüsante Dolche und Pistolen zwischen den kaschierten Heißwasserrohren hingen, Pralinés mit richtigem Likör an. Oben hatte er ein Atelier - er malte ein wenig, der alte Schwindler. Die schräge Wand (es war eigentlich nur eine Dachkammer) hatte er mit großen Photographien dekoriert: der sinnende André Gide, Tschaikowsky, Norman Douglas, zwei andere wohlbekannte englische Schriftsteller, Nijinsky (ganz Schenkel und Feigenblatt), Harold Ixix (ein verschleiert blickender, linker Professor an einer mittelwestlichen Universität) und Marcel Proust. All diese Armen schienen drauf und dran, von ihrer schiefen Ebene auf einen herabzurutschen. Er hatte auch ein Album mit Aufnahmen aller Jacks und Jims der Nachbarschaft, und als ich zufällig einmal darin blätterte und eine beiläufige Bemerkung fallenließ, spitzte Gaston die dicken Lippen und murmelte mit einem wehmütigen Schmollen: «Oui, ils sont gentils.» Seine braunen Augen schweiften dann über das sentimentale und mehr oder weniger künstlerische bric-à-brac im Zimmer und über seine eigenen banalen toiks (konventionell primitive Augen, in Scheiben geschnittene Gitarren, blaue Brustwarzen und geometrische Formen, wie es gerade modern war), und mit einer unbestimmten Handbewegung auf eine bemalte Holzschale oder eine gemaserte Vase sagte er: «Prenez donc une de cespoires. La bonne dame d'enface nien offreplus que je n'en peux savourer.» Oder: «Missiess Taille Lore vient de me donner ces dahlias, helles fleurs quej'execre.» (Düster, traurig, voller
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