Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
machen, abgesehen davon, daß er damit seiner Geschichte mehr Glaubwürdigkeit verliehen hätte.«
Clarity schüttelte den Kopf. »Er hat es nicht gesagt, um mich vielleicht besonders zu beeindrucken, und er hat bessere Beweise als schöne Worte, um seine Geschichte zu untermauern. Ich vermute, er tat es im wesentlichen deshalb, weil er befürchtete, daß die Beziehung zwischen uns zu eng würde. Er wollte wohl damit bezwecken, daß wir wieder etwas auf Distanz zueinander gingen.«
»Ein feiner junger Mann.« Vandervort machte ein nachdenkliches Gesicht. »Er hat natürlich recht. Du mußt zu ihm Abstand gewinnen. Komm ihm nicht zu nahe, meine Liebe! Laß dich mit ihm auf nichts allzu Persönliches ein.«
Nun war es an der jüngeren Frau, verwirrt zu sein. »Warum nicht? Was könnte daran nicht in Ordnung sein? Nur weil eine Bande verbrecherischer Wissenschaftler sich noch vor seiner Geburt an seiner DNS zu schaffen machte, ist er noch lange kein Monster. Sie haben ja selbst gesagt, wie außergewöhnlich er ist: ruhig, höflich, nachdenklich und gutaussehend, obgleich er das etwas anders sieht. Tapfer und mutig - er hat sich selbst in Gefahr gebracht, um mir zu helfen. Ich finde dabei nichts, wovor ich mich fürchten müßte. Sicher, es ist schon etwas verwirrend zu wissen, daß der Mann, mit dem man zusammen ist, immer weiß, was man gerade empfindet. Aber es ist ja nicht so, daß er Gedanken lesen kann. Wenn er wirklich ein emotionaler Telepath ist, wie er behauptet, dann weiß ich nicht, warum ich mich davor ängstigen sollte.«
»Du verteidigst ihn sehr überzeugend, Clarity! Und du hast recht. Wenn er wirklich nicht mehr ist als ein emotionaler Telepath, gibt es keinen Anlaß zur Furcht. Aber das wissen wir nicht. Wir wissen nicht und können uns nicht vorstellen, was er sonst sein könnte. Etwas, worüber er wohlweislich nicht reden würde. Etwas, das er dir nicht mitteilen will. Oder gar etwas, dessen er sich überhaupt nicht bewußt ist. Und was mindestens ebenso wichtig ist: Niemand, er selbst eingeschlossen, weiß, was er werden kann - jenseits aller Liebenswürdigkeit…«
»Wollen Sie damit sagen, er könnte sich - verändern? In etwas Gefährliches?«
»Ich sage nur, daß über die Machenschaften der Melioraren so wenig bekannt ist, daß man über ihre Produkte nichts sagen kann. Sie gehörten zu den genialsten Geningenieuren, die je gelebt haben. Aber auch zu den skrupellosesten. Sie probierten Dinge aus, an die niemand sich herangewagt hätte, ohne sich vorher eingehend zu überlegen, wie die Ergebnisse aussehen könnten. Der größte Teil ihrer Produkte war ziemlich unangenehm anzusehen. Ein paar dieser Geschöpfe waren andeutungsweise noch als menschlich zu bezeichnen. Wenige, sehr wenige waren ohne Beanstandungen.
Der Geist und der Körper dieses jungen Mannes sind in ihrer Kombination eine genetische Zeitbombe, die jederzeit hochgehen kann. Jetzt kann er durchaus als fast normal erscheinen, je nachdem, wieviel von seinem empathischen Talent tatsächlich vorhanden ist. Er kann durchaus noch für einige Jahre normal sein. Dann«, fügte sie unheilschwanger hinzu, »könnten plötzlich unerwartete Veränderungen an Geist, Körper und Persönlichkeit stattfinden. Warum wurden wohl die Arbeiten der Melioraren so gründlich unterdrückt?«
»Weil die Praxis der menschlichen Eugenik von der Kirche verboten wurde.«
Vandervort lächelte wissend. »Es steckt noch viel mehr dahinter. Die Melioraren schickten sich an, die eigenen Grenzen zu überschreiten, und rüttelten an den Fundamenten der Menschheit. Sie versuchten die Natur zu verbessern, indem sie gefährliche Krankheiten gleich in den Genen ausmerzten, die Wirkung des Alterns einschränkten, körperliche Kraft steigerten und die Intelligenz erhöhten. Das war an sich in Ordnung.
Aber sie versuchten auch Neues. Beängstigende Dinge. Sie versuchten den menschlichen Körper dazu anzustacheln, Leistungen zu vollbringen, für die er nicht geschaffen war und die er gar nicht vollbringen wollte. Sie versuchten evolutionäre Sprünge auszulösen, und nicht nur rein kosmetische.« Sie starrte auf ihren linken Arm in der Plastikschiene.
»Viele, zu viele ihrer Experimente endeten als groteske Fehlschläge. Es gab zahlreiche Gnadentodfälle. Ich erinnere mich noch an einiges in meiner Jugend, als ich gerade anfing, mich für die Gentechnik und die damit verwandten Disziplinen zu interessieren. Als ich älter und reifer wurde, entwickelte ich das
Weitere Kostenlose Bücher