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Die Chroniken von Gonran 1: Stärke oder Tod (German Edition)

Die Chroniken von Gonran 1: Stärke oder Tod (German Edition)

Titel: Die Chroniken von Gonran 1: Stärke oder Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pauli
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    1. KAPITEL
     
     
    Pete saß alleine auf seinem Bett im Waisenhaus. Es war ein altes Bett aus dunkelbraunem Eichenholz. Die dicken, robusten Beine des Bettes hatten schon viele Kinder ertragen müssen. Obwohl schon einige Kratzer von dem Alter zeugten, mochte Pete es sehr, denn sein Bett strahlte Ruhe aus. Es gab ihm etwas Geborgenheit und Stabilität in seinem sonst so wirren Leben.
    In Gedanken versunken starrte Pete auf die Bilder seiner Eltern, an die er sich fast gar nicht mehr erinnern konnte. Viele sagten, er habe die runden, vollen Augen seiner Mutter und die entschlossenen Gesichtszüge seines Vaters. Genau wusste er dies nicht, denn er konnte sich nur stückchenweise an seine Eltern erinnern.
    Mit dem Rücken seines rechten Zeigefingers strich er liebevoll erst seiner Mutter und dann seinem Vater über die Wange und vergoss, leise schluchzend, eine Träne. Behutsam legte er, wie jeden Abend, die beiden Bilder an die genau gleiche Stelle auf seinem Nachttisch und widmete ihnen den letzten sehnsüchtigen Blick für diesen Tag. Danach machte Pete seine Nachtlampe aus und versuchte einzuschlafen.
    Plötzlich wurde, mit einem lauten Krachen, die alte Holztür zu seinem Zimmer aufgestoßen. Vom Korridor schimmerte ein schwaches Licht in Petes Zimmer, das die kräftige Statur von Marcy Morgan, der Heimleiterin, umrahmte. Marcy war eine enorm starke, stämmige Person. Sie konnte die meisten Kinder nicht leiden, nun, um genau zu sein, konnte sie niemanden wirklich leiden. Pete setzte sich ruckartig in seinem Bett auf und wischte sich mit einer flinken Bewegung die Träne von seiner Wange. Er wollte auf keinen Fall, dass Marcy an ihm auch nur die geringste Schwäche entdeckte. Er war ja schließlich schon vierzehn Jahre alt.
    „………M… M… Miss Morgan ……?“, brachte er stammelnd über seine Lippen. Unter seiner Bettdecke formte er eine Faust; er hatte es sich schon so oft vorgenommen, vor ihr keine Angst zu zeigen. Marcy schob sich schwerfällig zwei Schritte in sein Zimmer. Der alte Holzboden knarrte unter ihrem Gewicht. Sie nickte Pete kurz zu und verkündete mit einer rauen, gleichgültigen Stimme: „Pete! Da ist was für dich.“
    „Für mich, Miss Morgan?“
    „Scheint so, Pete. Obwohl ich keine Ahnung habe, wer dir, nach all den Jahren, auf einmal Post schicken sollte …“
    Mit ihren Würstchenfingern klaubte sie aus der Seitentasche ihres langen, blumigen Rockes einen silbernen Umschlag hervor. Der Umschlag spiegelte das düstere Licht vom Korridor ungewohnt stark und strahlte förmlich in Petes halbdunklem Zimmer. Marcy bestaunte den Umschlag ungläubig.
    Mit unsicherer Stimme las sie laut vor: „Für Pete Powell“, sie nickte und schaute Pete verwundert an. Vorsichtig trat sie zu ihm und streckte ihre Hand mit dem Umschlag aus. Pete schaute sie etwas ängstlich an. Aber er überwand sein Zögern rasch; er war ja schon vierzehn Jahre alt. Langsam nahm er Marcy den Umschlag aus der Hand.
    „Danke, Miss Morgan“, murmelte er und begutachtete den Umschlag von allen Seiten. Vorsichtig suchte er nach einer Ritze, an der er den Umschlag hätte aufreißen können. Obwohl dieser die Größe eines Briefes hatte und nach einem aussah, konnte Pete beim besten Willen keinen Weg finden, den Umschlag zu öffnen. Der Umschlag fühlte sich ungewöhnlich kühl an.
    Der ist ja aus Metall, dachte Pete.
    Marcy stand wie angewurzelt im Zimmer und beobachtete ihn neugierig. Pete hatte ganz vergessen, dass sie noch dastand.
    „Dies ist mein Umschlag, der ist für mich, Miss Morgan!“
    „Ja und, ich will ja nur schauen, was da drin ist, Kleiner!“
    „Ich bin kein Kleiner! Und warum interessieren Sie sich jetzt auf einmal für mich und meine Dinge?“, fauchte er sie ungewohnt energisch an.
    „Mach doch, was du willst, Pete, das tust du ja ohnehin die ganze Zeit.“ Damit drehte sie sich abrupt um, rauschte aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
     
     
    Pete beachtete sie nicht weiter, er war es inzwischen gewohnt, von Marcy bedrängt zu werden. Seine volle Aufmerksamkeit galt nur noch diesem merkwürdigen Umschlag. Er legte ihn vorsichtig auf die Bettdecke und versuchte, nachzudenken.
    Ist dies vielleicht eine Nachricht meiner Eltern? Vielleicht habe ich ja doch noch irgendwo eine Familie, die mir von Marcy bisher verschwiegen wurde.
    Dieser Umschlag war äußerst merkwürdig. Er nahm ihn nochmals in seine Hände. Das Material fühlte sich etwas seltsam an, er konnte es biegen,

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