Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
»Haben Sie schon mal einen Körper gesehen, der von Millimilbenkäfern überfallen wurde?«
Sie blickte auf ihre Beine, dann fuhr sie mit den Fingern an den nunmehr fast verschwundenen Schwellungen entlang. »Dies dort?«
Er nickte. »Sie fressen sich unter die Haut. Sie sind nicht sehr groß, aber sie sind gierig und hartnäckig. Als erstes fressen sie sich durch zu der Stelle, wo der Muskel mit dem Knochen verbunden ist. Sie befallen zunächst die Beine. Dann, wenn ihre Beute sich nicht mehr bewegen kann, richten sie sich auf einen trägen Monat des ausschließlichen Fressens ein.«
Sie erschauerte erneut. »Da sitze ich nun und stelle eine Frage nach der anderen und habe mich noch nicht einmal richtig bedankt.«
»Doch, das haben Sie. Gerade eben.«
»Wirklich?« Sie blinzelte. »Entschuldigung. Mein Name. Ich habe Ihnen meinen Namen nicht genannt.« Sie strich sich durch die kurzen blonden Haare. Er fragte sich, wie das Gesicht wohl mit einer wohldosierten Schicht Kosmetika aussehen mochte. »Ich bin Clarity. Clarity Held.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie lachte, diesmal ein wenig unbehaglich. »Tatsächlich? Sie wissen doch überhaupt nichts von mir. Wenn Sie mehr wüßten, würden Sie das vielleicht gar nicht mehr als Vergnügen betrachten.«
»Ich habe einen verletzten Menschen mitten im Dschungel gefunden. Ich hätte unter diesen Umständen jeden aufgegabelt und mitgenommen.«
»Das hätten Sie wirklich getan, was? Ich bitte Sie«, neckte sie ihn. »Wie alt sind Sie eigentlich wirklich?«
Er seufzte. »Neunzehn, aber ich bin ziemlich weit herumgekommen. Hören Sie mal, worum geht es überhaupt? Was soll das alles? Wer hat Sie verprügelt, und warum wurden Sie gegen Ihren Willen festgehalten?«
Plötzlich sah sie sich suchend in dem Zimmer um. »Gibt es hier ein Badezimmer?«
Flinx dämpfte seine Neugier und wies mit einem Nicken auf das Hologramm eines vereisten Brunnens links von ihr. »Da hinten.«
»Gibt es dort auch eine Badewanne?« Ihre Stimme bekam einen leicht scharfen Klang. Er nickte, und sie lächelte dankbar. »Es ist wohl an der Zeit, daß endlich etwas Ruhe einkehrt. Von der Hölle in den Himmel in einem einzigen Atemzug.« Sie erhob sich und bewegte sich auf das Hologramm zu.
»Einen Moment noch! Sie haben keine meiner Fragen beantwortet.«
»Das werde ich noch tun. Ich werde Ihnen alles erzählen, was Sie wissen wollen. Schließlich verdanke ich Ihnen ja mein Leben.« Sie schaute zur Tür. »Sie sind sicher, daß niemand hereinkommen kann?«
»Ich bin sicher. Und selbst wenn es jemand schaffen sollte …« Er nickte in Pips Richtung.
»Na gut. Ich sollte eigentlich alles tun, um von hier zu verschwinden, sogar diese Welt zu verlassen. Denn ich bin überzeugt, daß sie längst nach mir suchen. Aber ich fühle mich wie ein Wesen, das gerade aus der Müllgrube gekrochen ist. Wenn ich mich jetzt nicht schnellstens säubere, dann werde ich mich selbst nicht länger ertragen können, um Ihre Fragen zu beantworten. Zuerst ein Bad.« Sie lächelte versonnen. »Für ein Bad ist immer Zeit.«
Er lehnte sich zurück und sank in sein Kissen. »Wenn Sie meinen. Hinter mir ist niemand her.«
»Das stimmt«, murmelte sie nachdenklich. »Niemand ist hinter Ihnen her. Meinen Sie, Sie könnten mir helfen, von hier wegzukommen? Weg aus dieser Stadt? Wie heißt sie überhaupt?«
»Mimmisompo. Sie sind gar nicht hier durchgekommen?«
»Nein. Ich war auf einem großen Gleiter, für eine ziemlich lange Zeit.« Sie runzelte die Stirn. »Alaspinport, glaube ich. Sie haben mich unter Drogen gesetzt und runtergebracht, und wir sind gleich in den Gleiter gestiegen. Ich war ziemlich weggetreten, außer wenn sie mich so weit weckten, daß ich ihre Fragen beantworten konnte. Ich erkläre Ihnen alles, soweit ich es kann, erzähle, woran ich mich erinnere, aber später. Im Augenblick ist ein heißes Bad für mich das Schönste, was ich mir vorstellen kann.«
»Dann mal los! Stürzen Sie sich hinein und genießen Sie es. Ich behalte die Tür im Auge.«
Sie tat einen Schritt auf ihn zu, zögerte dann. »Es ist schön, hier einen Freund zu haben.« Eine schnelle Drehung, und sie war durch das Holo verschwunden, das das Badezimmer vom übrigen Apartment abtrennte.
Ihr Hindurchtreten schaltete das Bild automatisch aus, und sie machte sich nicht die Mühe, es wieder einzuschalten, da sie nichts anderes im Kopf hatte als ihr Bad. Sekunden später drang ihm das Geräusch von fließendem Waser an die
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