Long Tunnel
die Erscheinung einer implodierten Persönlichkeit. Er war völlig gesund, in sich gefestigt, vollständig. Was bedeutete, daß die Vermutung falsch war, von der sie vor mehreren Jahren gelesen hatte. Oder es versuchte jemand, eine Unmöglichkeit mit einer Unwahrscheinlichkeit zu tarnen, was bedeutete, daß etwas Unerklärliches, Unaussprechliches in jenem zerstörten Lager passiert war. Wenn dieser Flinx das Individuum war, das in den Aufzeichnungen nur als Nummer auftauchte, und wenn er nicht implodiert war und sich selbst den Tod gegeben hatte, während die anderen Verteidiger von ihrem Schicksal ereilt worden waren, dann blieb die Frage: Was war an diesem Tag und um diese Zeit geschehen? Das war alles viel interessanter als wenn er implodiert wäre. Es legte verschiedene Möglichkeiten nahe.
Während sie im Bett lag und zusah, wie ihr Arm heilte, hatte Alynasmolia Vandervort sehr viel Zeit zum Nachdenken.
Flinx aß an einem leeren Tisch, der von leeren Tischen umgeben war. Der Grund für seine Isolation war Clarity augenblicklich klar, als sie die Kantine betrat.
Pip lag in voller Länge und schillernder Pracht vor ihm ausgebreitet, während Scrap sich gleich daneben über den Tisch schlängelte. Die beiden fliegenden Schlangen hatten sich mit ihren Bauchschuppen auf dem Tisch hochgereckt und sahen aus wie terranische Kobras, die Flügel halb aufgespannt. Sie bettelten um Nahrung.
Während Flinx sie geduldig fütterte, trank er aus einem Glas mit einer dunklen Flüssigkeit. Es war ein Proteingetränk, wie Clarity erkannte. Schnell zuzubereiten und nahrhaft, und das war auch schon alles. Ihr wurde schlagartig bewußt, daß er niemals über Essen sprach. Vielleicht war er einer jener Menschen, die Essen als nichts anderes betrachten denn als notwendige Energiezufuhr. Das hätte auch seine drahtige Magerkeit erklärt.
»Amee läßt dich grüßen.«
Er sah zu ihr hoch. »Es freut mich, daß es ihr besser geht. Genauso froh bin ich auch, daß die Schwierigkeiten sich hier bereinigt haben. Das bedeutet, daß wir aufbrechen können, sobald wir fertig sind. Ich habe noch einige wichtige geschäftliche Dinge zu erledigen, ehe ich zurückkehren kann, um mich angemessen dem Studium der Sumacrea zu widmen.«
Sie ließ sich neben ihm nieder und achtete darauf, daß zwischen ihnen ein kleiner Abstand blieb. »Es gibt da etwas, worüber wir reden müssen.«
»Was meinst du?« fragte er mit gerunzelter Stirn.
»Ich bin hierher zurückgekehrt, wohin ich gehöre. Ich brauche nicht mehr anderswo hinzugehen.«
»Du willst hierbleiben? Nach allem, was passiert ist?« Er schnippte einen kleinen salzigen Nahrungsbrocken in Scraps Richtung und beobachtete, wie der junge Minidrach zur Seite schoß und sich das Fressen aus der Luft schnappte.
»Dies ist der Ort, wo ich meine Arbeit und meine Freunde habe. Jedenfalls die, die überlebt haben. Es gibt eine ganze Menge zu tun. Aufzeichnungen müssen gesucht und vervollständigt werden, dann der Wiederaufbau …«
»Du bist für nichts davon verantwortlich. Du bist Geningenieurin und keine Architektin. Ich habe über alles nachgedacht, was du auf dem Weg hierher gesagt hast, über fast alles, worüber wir gesprochen haben, und ich dachte, du würdest dich vielleicht gern für längere Zeit freimachen und anderswo hingehen. Wie wäre es mit New Riviera? Ich war dort noch nie, aber ich habe eine Menge darüber gehört.«
»Jeder hat schon von New Riviera gehört. Es ist nicht möglich, Flinx. Ich würde gern einen solchen Ort aufsuchen, wirklich. Ich habe schon immer davon geträumt, umherzureisen.«
»Warum sollen wir dann nicht dorthinreisen? Die Teacher schafft das leicht.« Dabei lächelte er sie an, und es war offen und unschuldig, so daß es ihr fast das Herz brach. »Sind wir denn während unserer Reise von Alaspin hierher nicht gut miteinander ausgekommen?«
Sie wandte sich ab und tat so, als betrachte sie die fliegenden Schlangen; dabei war sie nur unfähig, seinem Blick standzuhalten. »Es war eine wunderbare Zeit, aber nun ist es für mich wieder soweit, daß ich an die Arbeit gehe.«
»Ich verstehe nichts mehr. Sicherlich wird deine Firma dir nach allem, was du durchgemacht hast, einen Urlaub gewähren. Wenn es eine Frage des Geldes ist und es dir peinlich ist, wenn ich alle Kosten übernehme …« Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie zuckte zusammen. Sie gab sich Mühe, nicht so zu reagieren, sie konnte nicht anders. Es war nur eine knappe, kaum
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