Lord Camerons Versuchung
Narben von Wunden, die er vor langer Zeit erlitten haben musste. Du lieber Himmel, davon hatte sie nichts gewusst. Ainsley konnte das Keuchen nicht unterdrücken, das ihr über die Lippen kam.
Phyllida hob den Kopf. »Liebling, hast du auch etwas gehört?«
»Nein.« Cameron hatte eine sehr tiefe Stimme, seine Antwort klang schroff.
»Ich bin sicher, ich habe ein Geräusch gehört. Bist du so gut und siehst dort am Fenster nach?«
Ainsley erstarrte.
»Vergiss das verdammte Fenster. Wahrscheinlich ist es einer der Hunde.«
»Liebling, bitte.« Phyllida verstand sich perfekt auf diesen schmollenden Ton. Cameron knurrte irgendetwas, und dann hörte Ainsley seine schweren Schritte näher kommen.
Ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Es gab zwei Fenster im Schlafzimmer, je eines an jeder Bettseite. Die Chancen standen also zwei zu eins, dass Lord Cameron zu dem anderen Fenster gehen würde. Eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit, würde ihr jüngster Bruder Steven sagen. Entweder würde Cameron den Vorhang zurückreißen und enthüllen, dass Ainsley sich auf der Fensterbank versteckte, oder er würde es nicht tun.
Steven mochte keine Wetten, wenn die Chancen so gleich verteilt waren. Sie würden nicht genügend Unwägbarkeiten in sich bergen, um interessant zu sein, behauptete er. Deswegen hätte auch niemals Steven derjenige sein können, der auf einer Fensterbank hockte und darauf wartete, von Lord Cameron und der Frau entdeckt zu werden, die die Königin von England erpresste.
Lord Camerons große gebräunte Hände packten die Vorhänge vor Ainsleys Gesicht und teilten sie einige Zentimeter weit.
Ainsley starrte zu Cameron hoch und begegnete seinem topasfarbenen Blick. Er fixierte sie wie ein Löwe in der Steppe, der eine Gazelle beobachtete, und die Gazelle in ihr wollte nur noch eines: Hals über Kopf davonjagen. Aber auch wenn sie jetzt eine Hofdame der Königin war, so trieb der Wildfang, der sie einst in Miss Pringles Exklusiver Akademie gewesen war, sie doch dazu, ihn lediglich kühn anzustarren.
Schweigen breitete sich aus. Noch verdeckte Camerons großer Körper sie, aber er konnte sich jederzeit umdrehen und sie Phyllida preisgeben. Cameron schuldete ihr nichts. Ihm musste sofort klar geworden sein, dass sie sich in seinem Schlafzimmer versteckte, weil es wieder um irgendwelche Intrigen ging. Er konnte Ainsley an Phyllida ausliefern und sich sagen, dass ihr das recht geschah.
Hinter Cameron ertönte Phyllidas Stimme. »Was ist es, Liebling? Ich hab dich zusammenzucken sehen.«
»Nichts«, erwiderte Cameron. »Nur eine Maus.«
»Ich kann Mäuse nicht ausstehen. Töte sie, Cam.«
Cameron sah Ainsley unverwandt an, während sie darum kämpfte, trotz ihres zu eng geschnürten Korsetts tief Luft zu holen.
»Ich werde sie am Leben lassen«, sagte er. »Im Moment jedenfalls.« Er ließ die Vorhänge zufallen und schloss Ainsley wieder in ihr Zelt aus Glas und Samt ein. »Wir sollten jetzt wieder nach unten gehen.«
»Warum? Wir sind doch gerade erst heraufgekommen.«
»Ich habe die Gäste ins Haus zurückkehren sehen, einschließlich deines Ehemannes. Wir werden getrennt hinuntergehen. Ich will Beth und Isabella nicht vor den Kopf stoßen.«
»Oh, na gut.«
Phyllida schien nicht sehr enttäuscht zu sein, aber vermutlich nahm sie an, dass sie sich jederzeit wieder mit ihrem MacKenzie-Lord verkriechen konnte, wann immer sie Lust darauf hatte. Einen Augenblick lang empfand Ainsley tiefen, schneidenden Neid.
Cameron und Phyllida schwiegen, ohne Zweifel richteten sie ihre Kleider her. Dann war wieder Phyllida zu hören: »Ich werde später mit dir reden, Liebling.«
Ainsley hörte, dass die Tür geöffnet wurde, weitere jetzt gedämpft klingende Worte wurden gewechselt, dann wurde die Tür geschlossen und alles war still. Ainsley wartete noch einige Minuten voller Herzklopfen ab, um sicher zu sein, dass die beiden fort waren, ehe sie die Vorhänge teilte und von der Fensterbank stieg.
Sie hatte das Zimmer fast schon durchquert und streckte die Hand nach dem Türgriff aus, als sie hinter sich ein Räuspern vernahm.
Langsam wandte sich Ainsley um. Lord Cameron MacKenzie stand in der Mitte des Zimmers, in Hemdsärmeln und Kilt, sein goldener Blick nagelte sie wieder einmal an der Stelle fest, wo sie stand. Er hielt einen Schlüssel hoch.
»Mrs Douglas«, sagte er, und seine heisere Stimme überflutete sie. »Was zum Teufel haben Sie in meinem Schlafzimmer zu suchen – was ist es denn dieses
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