Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
konnte.«
»Wie war denn diese Nichte überhaupt?«
»Nun, sie war sehr nett, wohlerzogen und tüchtig und erheblich intelligenter als ihre Tante. Selbständig, nüchtern und so weiter. Der moderne Typ Frau. Eine, die zuverlässig ihren klaren Kopf behält und nichts vergißt. Natürlich meldete sich mit der Zeit wieder dieses verflixte Gewächs – wie immer, wenn es nicht gleich von Anfang an bekämpft wird, und eine weitere Operation wurde notwendig. Um diese Zeit war ich seit etwa acht Monaten in X. Ich habe sie nach London zu Sir Warburton Giles gebracht, meinem früheren Chef, und die Operation selbst war sehr erfolgreich, obwohl schon damals allzu deutlich zu sehen war, daß ein lebenswichtiges Organ allmählich eingeschnürt wurde und das Ende nur noch eine Frage der Zeit sein konnte. Die Details kann ich mir sparen. Es wurde jedenfalls alles getan, was möglich war. Ich wollte, daß die alte Dame in London unter Sir Warburtons Aufsicht blieb, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie war an das Landleben gewöhnt und fühlte sich nur in ihren eigenen vier Wänden wohl. Also kehrte sie nach X zurück, und ich konnte sie mit gelegentlichen ambulanten Behandlungen in der nächsten größeren Stadt, die ein ausgezeichnetes Krankenhaus hat, weiter über die Runden bringen. Sie erholte sich von der Operation so erstaunlich gut, daß sie schließlich ihre Krankenschwester entlassen konnte und wie früher mit der Pflege ihrer Nichte auskam.«
»Moment mal, Doktor«, warf der Mann namens Charles ein. »Sie sagten, Sie hätten sie zu Sir Warburton Giles gebracht und so weiter. Daraus schließe ich, daß sie recht wohlhabend war.«
»O ja, sie war eine ziemlich reiche Frau.«
»Wissen Sie zufällig, ob sie ein Testament gemacht hat?«
»Nein. Ich glaube, ich erwähnte schon ihre extreme Abneigung gegen jeden Gedanken ans Sterben. Sie hat sich stets geweigert, ein Testament zu machen, weil sie über derlei Dinge einfach nicht reden mochte. Einmal, das war kurz vor der Operation, habe ich es gewagt, das Thema so beiläufig wie möglich anzuschneiden, aber das führte nur dazu, daß sie sich ganz furchtbar aufregte. Außerdem meinte sie – und das ist vollkommen richtig –, ein Testament sei ganz und gar unnötig. ›Du, meine Liebe‹, hat sie zu ihrer Nichte gesagt, ›bist die einzige Verwandte, die ich auf der Welt habe, also wird alles, was ich besitze, sowieso eines Tages dir gehören, komme, was da wolle. Und ich weiß ja, daß du die Dienerschaft und meine kleinen Wohltätigkeiten nicht vergessen wirst.‹ Da habe ich dann natürlich nicht weiter nachgehakt.
Da fällt mir übrigens ein – aber das war ein gut Teil später und hat mit meiner Geschichte eigentlich nichts zu tun–«
»Bitte«, sagte Peter. »Alle Einzelheiten.«
»Nun gut, ich erinnere mich, daß ich eines Tages hinkam und meine Patientin in einem Zustand antraf, der gar nicht meinen Wünschen entsprach, und sehr erregt dazu. Die Nichte erzählte mir, Anlaß für den Ärger sei ein Besuch von ihrem Anwalt gewesen – dem alten Familienanwalt aus ihrem Heimatort, nicht dem bei uns am Ort. Er hatte die alte Dame unbedingt unter vier Augen sprechen wollen, und danach war sie schrecklich aufgeregt und wütend gewesen und hatte erklärt, alle Welt habe sich verschworen, sie vorzeitig unter die Erde zu bringen. Der Anwalt hatte der Nichte beim Weggehen keine näheren Erklärungen gegeben, ihr aber aufgetragen, falls ihre Tante ihn je zu sehen wünsche, solle sie sofort nach ihm schicken, und er werde zu jeder Tages- oder Nachtzeit kommen.«
»Und – wurde nach ihm geschickt?«
»Nein. Die alte Dame war so gekränkt, daß sie ihm, sozusagen in ihrer letzten eigenhändigen Amtshandlung, die Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten entzog und den Anwalt am Ort damit beauftragte. Bald darauf wurde eine dritte Operation notwendig, und danach wurde sie immer hinfälliger. Auch ihr Geist begann nachzulassen, so daß sie bald nicht mehr imstande war, komplizierte Zusammenhänge zu begreifen – und sie hatte auch wirklich zu arge Schmerzen. um sich noch mit geschäftlichen Dingen abzugeben. Die Nichte hatte Handlungsvollmacht und verwaltete das Vermögen ihrer Tante jetzt ganz.«
»Wann war das?«
»Im April 1925. Aber wissen Sie, wenn sie auch ein bißchen trottelig wurde – schließlich wurde sie ja auch älter –, körperlich war sie erstaunlich widerstandsfähig. Ich befaßte mich gerade mit einer neuen Behandlungsmethode, und die Ergebnisse waren
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