Lord Peter 03 - Keines natürlichen Todes
Oberkellner kam und ließ eine Forelle blau begutachten. Er bediente den Monokelträger und seinen Begleiter und zog sich dann zurück, um sie jener Ungestörtheit zu überlassen, die der Unerfahrene in vornehmen Cafés zu suchen pflegt, dort aber nie findet.
»Ich komme mir vor wie Prinz Florizel von Böhmen«, sagte der Mann mit Monokel. »Sie haben gewiß eine interessante Geschichte zu erzählen, Sir, und ich wäre Ihnen überaus verbunden, wenn Sie uns die Ehre erweisen und uns daran teilhaben lassen würden. Ich sehe, daß Sie schon fertig gegessen haben und es Ihnen daher wohl nicht allzuviel ausmacht, an unsern Tisch zu kommen und uns beim Essen mit Ihrer Erzählung zu unterhalten. Verzeihen Sie meine Stevensonsche Art – meine Anteilnahme ist deshalb nicht weniger ernsthaft.«
»Führ dich nicht so albern auf, Peter«, sagte der schwer zu Beschreibende. »Mein Freund ist an sich viel vernünftiger, als Sie aus seinem Gerede vielleicht schließen möchten«, fügte er an den Fremden gewandt hinzu, »und wenn Sie etwas haben, was Sie sich von der Seele reden wollen, können Sie vollkommen darauf vertrauen, daß es über diese vier Wände nicht hinausgeht.«
Der andere lächelte ein wenig grimmig.
»Ich will es Ihnen gern erzählen, wenn es Sie nicht langweilt. Es ist eben nur ein einschlägiges Beispiel.«
»Und zwar zu meinen Gunsten«, meinte der mit Peter Angesprochene triumphierend. »Erzählen Sie nur. Und trinken Sie etwas. Ein armes Herz, das nie sich erfreuet. Aber fangen Sie ganz von vorn an, wenn’s recht ist. Ich bin sehr trivial veranlagt. Kleinigkeiten ergötzen mich. Verwicklungen faszinieren mich. Entfernungen spielen keine Rolle, Branchenkenntnis nicht erforderlich. Mein Freund Charles wird das bestätigen.«
»Gut«, sagte der Fremde. »Also, um wirklich ganz von vorn zu beginnen, ich bin Mediziner, und mein Hauptinteresse gilt dem Krebs. Wie so viele hatte ich gehofft, mich darauf spezialisieren zu können, aber nach dem Examen hatte ich einfach nicht das erforderliche Geld, mich der Forschung zu widmen. Folglich mußte ich eine Landpraxis übernehmen, aber ich bin mit den wichtigen Leuten hier in Verbindung geblieben, weil ich eines Tages wiederzukommen hoffte. Ich darf dazu noch sagen, daß ich von einem Onkel eine Kleinigkeit zu erwarten habe, und man war der Meinung, es könne mir nicht schaden, wenn ich in der Zwischenzeit ein bißchen Erfahrung als praktischer Arzt sammelte, um nicht einseitig zu werden und so.
Nachdem ich mir also eine kleine Praxis in … den Namen nenne ich lieber nicht – es ist ein kleines Landstädtchen von rund fünftausend Einwohnern, nach Hampshire zu, und wir wollen es ›X‹ nennen … jedenfalls fand ich dort zu meiner Freude einen Fall von Krebs in meiner Patientenkartei. Die alte Dame –«
»Wie lange ist das jetzt her?« unterbrach Peter ihn.
»Drei Jahre. Viel war in diesem Fall nicht mehr zu machen. Die Dame war zweiundsiebzig Jahre alt und hatte schon eine Operation hinter sich. Aber sie war zäh und wehrte sich tapfer, wobei ihre gesunde Konstitution ihr half. Ich sollte noch erwähnen, daß sie zwar nie eine Frau von besonders hohen Geistesgaben und großer Charakterfestigkeit im Umgang mit anderen Menschen gewesen war, aber in manchen Dingen konnte sie ungemein halsstarrig sein, und vor allem war sie fest entschlossen, nicht zu sterben. Damals lebte sie allein mit ihrer Nichte, einer jungen Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren. Davor hatte sie mit einer anderen alten Dame zusammengelebt – ebenfalls eine Tante des Mädchens nach der anderen Seite –, mit der sie seit der Schulzeit eng befreundet gewesen war. Als diese Freundin starb, gab das Mädchen, die einzige lebende Verwandte beider, ihre Stelle als Krankenschwester am Royal Free Hospital auf und zog zu der Überlebenden – meiner Patientin. Sie waren etwa ein Jahr, bevor ich dort meine Praxis übernahm, nach X gekommen. Hoffentlich drücke ich mich klar aus.«
»Vollkommen. War außerdem noch eine Krankenschwester da?«
»Zunächst nicht. Die Patientin war noch in der Lage, auszugehen und Bekannte zu besuchen, leichte Hausarbeiten zu machen, Blumen zu pflegen, zu stricken, zu lesen und so weiter und ein bißchen in der Gegend herumzufahren – also das, womit die meisten alten Damen ihre Zeit verbringen. Natürlich hatte sie auch hin und wieder ihre schlimmen Tage, mit Schmerzen und so, aber die Nichte hatte so viel Berufserfahrung, daß sie alles Notwendige tun
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