Lords und Ladies
Zinseszinsen wäre ich inzwischen zum Millionär geworden. Ich hätte ebensoviel Geld wie Krösus.«
»Wer ist Krösus?« fragte Dachdecker.
»Ein berühmter Reicher.« Bäcker zog seine Stiefel aus einem nahen Torftümpel. »Irgendwo im Ausland.«
»Meinst du den Burschen, der alles in Gold verwandelte, was er berührte?« fragte Fuhrmann.
»Nee, das war jemand anders. Irgend’n König oder so. Tja, so was passiert im Ausland. Im einen Augenblick sind die Dinge in bester Ordnung, und im nächsten verwandelt sich alles in Gold, was man anfaßt. Dieser Bursche hat ziemlich darunter gelitten.«
Fuhrmann wirkte recht nachdenklich.
»Und wenn er mal mußte? Wie…«
»Laß dir das eine Lehre sein, junger Fuhrmann«, sagte Bäcker. »Bleib in der Heimat, wo die Leute vernünftig sind. Treib dich nicht in der Fremde herum, wo du plötzlich ein Vermögen in den Händen halten könntest – ohne es für irgendwas ausgeben zu können.«
»Wir haben hier die ganze Nacht geschlafen«, stellte Jason beunruhigt fest. »Das ist gefährlich.«
»Da hast du recht, Schmied«, pflichtete ihm Fuhrmann bei. »Ich glaube, etwas hat mein Ohr als Toilette benutzt.«
»Ich meine, hier schleichen sich einem seltsame Dinge in den Kopf.«
»Genau das habe ich auch gemeint.«
Jason blinzelte. Er war ganz sicher, geträumt zu haben. Er erinnerte sich daran. Aber die Einzelheiten des Traums blieben verschwommen. Nach wie vor glaubte er zu spüren, wie zwischen seinen Schläfen Stimmen erklangen, doch zu weit entfernt, um sie verstehen zu können.
»Na schön.« Beim dritten Versuch gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. »Wahrscheinlich ist nichts weiter passiert. Gehen wir nach Hause, um herauszufinden, in welchem Jahrhundert wir uns befinden.«
»Äh, in welchem Jahrhundert sind wir eingeschlafen?« fragte Dachdecker.
»In dem des Flughunds, nicht wahr?« entgegnete Bäcker.
»Aber vielleicht sind wir in einem anderen erwacht«, sagte Fuhrmann hoffnungsvoll.
Er mußte eine Enttäuschung hinnehmen. Die Stadt lieferte ihnen die Bestätigung dafür, daß sie sich noch im heimischen Jahrhundert befanden. In Lancre konnte man kaum etwas mit Zeiteinheiten anfangen, die kleiner waren als eine Stunde und größer als ein Jahr, doch es gab unübersehbare Hinweise, die jeden Zweifel ausräumten: Man schmückte den Platz mit bunten Fähnchen, und einige Männer stellten gerade eine Art Maibaum auf. Jemand nagelte ziemlich schlecht gemalte Bilder an die Wände. Sie zeigten Verence und Magrat, darunter den Slogan: »Möge Gott dasse köhnigliche Paar segnigen«.
Die Moriskentänzer verabschiedeten sich mit einigen knappen Worten, und anschließend ging jeder seines Wegs.
Ein Hase hoppelte durch den zerrissenen Morgennebel bis zur alten schiefen Hütte auf der Waldlichtung.
An einem Baumstumpf zwischen Abort und Kräutergarten verharrte er. Die meisten Tiere des Waldes mieden die Nähe der Kräuter, und zwar aus gutem Grund: Wer sie während der vergangenen fünfzig Jahre nicht gemieden hatte, bekam keine Gelegenheit, Nachkommen zu zeugen. Einige Ranken bewegten sich, und das war seltsam, denn es wehte gar kein Wind.
Der Hase hockte sich auf den Stumpf.
Ein Beobachter hätte jetzt vielleicht den Eindruck von Bewegung gewonnen. Etwas verließ den Hasen und schwebte zu einem geöffneten Fenster empor. Das Etwas war natürlich unsichtbar, zumindest für normale Augen.
Das Tier auf dem Baumstumpf veränderte sich. Vorher hatte es zielstrebig gewirkt, doch nun sprang es zu Boden und begann damit, sich die Ohren zu putzen.
Nach einer Weile öffnete sich die Hintertür, und Oma Wetterwachs trat steifbeinig nach draußen. Sie stellte einen Napf mit Brot und Milch auf die Straße, kehrte dann ins Innere der Hütte zurück und schloß die Tür.
Der Hase hoppelte näher.
Niemand weiß, ob Tiere verstehen, was es mit Verpflichtungen und Transaktionen auf sich hat. Eigentlich spielt es für sie auch gar keine Rolle. Das ist eher integraler Bestandteil der Hexerei. Wenn man eine Hexe wirklich verärgern möchte, so erweise man ihr einen Gefallen, ohne daß sie die Möglichkeit hat, sich dafür in irgendeiner Form erkenntlich zu zeigen. In einem solchen Fall läßt ihr die unerfüllte Verpflichtung keine Ruhe.
Oma Wetterwachs hatte sich die ganze Nacht über das Selbst des Hasen geborgt. Dafür schuldete sie dem Tier etwas, und das bedeutet: Während der nächsten Tage warteten an der Hintertür mindestens einmal am Tag Brot und Milch auf
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