Lords und Ladies
Stoffstreifen, die um eine Eisenstange gewickelt waren.
»So was liegt hier überall«, sagte Magrat. »Warum?«
Shawn betrachtete seine Füße. Auch an den Stiefeln glänzte Goldfarbe.
»Nun, unsere Mama meinte…«
»Ja?«
»Unsere Mama meinte, es sei sehr wichtig, daß es hier genug Eisen gibt. Deshalb haben Millie und ich einige Stangen aus der Schmiede geholt und sie umwickelt, und Millie hat sie hierhergebracht.«
»Warum?«
»Um die, äh, Herren und Herrinnen fernzuhalten.«
»Was? Aber das ist doch nur ein alter Aberglaube. Außerdem: Alle wissen, daß Elfen gut sind – was auch immer Oma Wetterwachs behauptet.«
Shawn schnitt eine Grimasse, als Magrat ein Bündel unter der Matratze hervorzog und es in die Ecke warf.
»Hier halten wir nichts von einem derartigen Unfug. Gibt es sonst noch etwas, von dem man mir nichts gesagt hat?«
Shawn schüttelte den Kopf und dachte schuldbewußt an das Wesen im Kerker.
»Na schön. Geh jetzt. Verence möchte ein modernes, effizientes Königreich, und das bedeutet: keine Hufeisen und so. Geh endlich!«
»Ja, Frau Königin.«
Ich habe durchaus die Möglichkeit, hier positive Veränderungen zu bewirken, ging es Magrat durch den Sinn.
Und sie fuhr fort: Ja, genau. Sei vernünftig. Darauf kommt’s an – auf die Vernunft. Rede mit ihm. Sie glaubte fest daran, daß sich alle Probleme lösen ließen, wenn die Leute nur miteinander redeten.
»Shawn?«
Er blieb an der Tür stehen.
»Ja, gnä’ Frau?«
»Ist der König bereits im Großen Saal?«
»Ich glaube, er zieht sich noch an, Frau Königin. Jedenfalls hat er mich bisher nicht angewiesen, die Fanfare erklingen zu lassen.«
Verence mochte es nicht besonders, von Shawn mit schmetternden Trompetenstößen angekündigt zu werden, und deshalb hatte er an diesem Morgen seine Gemächer inkognito verlassen. Magrat wußte nichts davon, ging zu seinem Schlafzimmer und klopfte an.
Warum schüchtern sein? Am nächsten Tag war es auch ihr Schlafzimmer, oder? Sie drehte den Knauf, und die Tür öffnete sich. Fast gegen ihren Willen trat sie ein.
Von den Räumen im Schloß konnte man kaum behaupten, daß sie jemandem gehörten. Im Lauf der Jahrhunderte hatten zu viele Personen darin gewohnt. Die Atmosphäre stellte ein Äquivalent jener Wände dar, in denen zahllose winzige Löcher an zahllose Poster inzwischen längst aufgelöster Rockgruppen erinnerten. Solchen Steinen konnte man keine individuelle Persönlichkeit aufprägen; gegen so etwas waren sie längst immun.
Magrat betrat nun das Schlafzimmer eines Mannes und empfand dabei wie ein Forscher, der jene Region erreichte, die auf der Landkarte mit »Hier könnten Drachen hausen« markiert war. *
Der Raum entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen.
Das Schlafzimmerkonzept hatte Verence erst recht spät in seinem Leben kennengelernt. Als er noch ein Junge gewesen war, schlief die ganze Familie im Stroh auf dem Dachboden der Hütte. Als Lehrling in der Gilde der Narren und Witzbolde hatte er sich mit einer einfachen Pritsche in einem großen Wohnheim begnügen müssen, das er mit vielen anderen traurigen und bedrückten Jugendlichen geteilt hatte. Als voll ausgebildeter Narr schlief er zusammengerollt vor der Tür seines Herrn, wie es die Tradition verlangte. Erst viel später als die meisten Leute bekam er Gelegenheit, weiche Matratzen auszuprobieren.
Jetzt erfuhr Magrat vom großen Geheimnis des Königs.
Das Experiment hatte nicht funktioniert.
In der Mitte des Zimmers stand das große Bett von Lancre. Es hieß, daß mehr als zehn Personen darin schlafen konnten, doch in Hinsicht auf die Umstände und das Warum ließ sich keine Gewißheit erlangen. Wie dem auch sei: Das Bett war riesig und bestand aus Eiche.
Ganz offensichtlich hatte niemand darin geschlafen.
Magrat zog die Decke zurück, roch angesengtes Leinen – und sonst nichts. Dieser Geruch teilte mit: Hier hat niemand gelegen und geträumt.
Sie blickte sich um, bis sie das kleine Stilleben an der Tür bemerkte. Es bestand aus einem zusammengefalteten Nachthemd, einem Kerzenhalter und einem kleinen Kissen.
Seit Verence die Königskrone trug, schlief er auf der anderen Seite der Tür.
Bei den Göttern! Er hatte die Nacht immer vor der Tür seines Herrn verbracht. Und nun schlief er vor der Pforte seines Königreichs.
Magrat spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
Man mußte einfach jemanden lieben, der so sentimental war.
Sie fühlte sich fasziniert und wußte gleichzeitig, daß sie an
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