Lost Secrets 4
Die Lampen an den Wänden hatten früher sicher nur spärliches Licht gespendet. Die erste Tür zur Linken führte in einen Speisesaal.
Der Raum wirkte wie ausgeschlachtet. Einige Tische und Stühle waren noch da, andere waren offenbar mitgenommen worden. Der Fußboden war auch hier zerschlissen und von den Fensterrahmen blätterte die gelbliche Farbe.
„Was für ein schrecklicher Platz für ein Kind, um aufzuwachsen“, sagte Heather leise.
Eric trat vor eine Anrichte, auf der noch ein verstaubter Kochtopf stand. Der Emailledeckel war angerostet und obwohl das Heim schon seit über einem Jahr leer stand, hing noch der Geruch von abgestandenem Fett in der Luft.
„Hier drinnen kriegt man Depressionen“, befand er und kehrte dem Raum den Rücken. Wider Erwarten gab es kein Büro im Erdgeschoss, so dass Heather und Eric den knarrenden Stufen hinauf ins erste Stockwerk folgten. Hier waren insgesamt vier Schlafsäle. Metallbetten mit verrosteten Fußenden standen kreuz und quer, und Matratzen, deren Sprungfedern durch den Stoff gebrochen waren, fleckig und durchgelegen, waren auf dem Boden verteilt.
„Vielleicht haben über den Winter Obdachlose hier Zuflucht gesucht“, meinte Heather leise und hatte das Gefühl, dass all die Traurigkeit und Einsamkeit der Kinder an diesem Ort fast greifbar war. Ein ungutes Gefühl saß ihr wie eine eisige Faust im Nacken.
„Hier ist es echt unheimlich“, befand sie und ging weiter den Gang entlang, bis sie am Ende ankamen.
„Ja, und gleich wird es noch unheimlicher. Denn wenn unten und hier keine Unterlagen sind, bleibt nur noch der Keller.“
Heather verzog das Gesicht.
Sie gingen hinab ins Erdgeschoss und schoben den schweren Eisenriegel vor der Kellertür zurück. Die Steintreppe, die hinabführte, war schmal und voller Staub. Eric zog eine kleine Taschenlampe hervor und leuchtete die Stufen hinab in den dunklen Raum.
„Da sind Regale.“
Heather steuerte auf die hohen Archivregale zu, in denen offenbar kistenweise Unterlagen verstaubten.
„Das geht hier bei 1953 los“, las sie.
„Das sind mindestens 10 Regalwände.“ Eric leuchtete an den deckenhohen Archivböden entlang, während sie zur nächsten Reihe ging.
„Wenigstens ist es gut sortiert.“ Sie wischte mit den Fingerspitzen über einen Kartondeckel, wo unter der Staubschicht die Aufschrift „1959 – 1962“ zum Vorschein kam.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Eric plötzlich abrupt stehenblieb, die Taschenlampe hob und seine Waffe zog.
„Was ist?“
„Da war jemand schneller als wir.“
Sie kam um das Regal herum und starrte in den Lichtkegel der Taschenlampe, wo der Inhalt zweier Kartons ausgekippt und in einem wüsten Papierhaufen auf dem Boden verteilt worden war. Sie ging in die Hocke und wischte über das Datum auf dem Deckel, während Eric den Raum absuchte.
„Lass mich raten“, verlangte er mit einem bitteren Lächeln, nachdem er sichergestellt hatte, dass sie alleine waren. „1976?“
„Allerdings.“ Seufzend stand sie auf und klopfte sich die staubigen Finger an den Hosenbeinen ab. „Wir fahren besser schnell in das andere Heim. Auch wenn die Chancen gut stehen, dass er Bowlers Spuren dort ebenfalls verwischt hat.“
Ohne Wehmut ließen sie den finsteren Keller hinter sich und gingen wieder hinaus zu ihrem Wagen.
„Wenn dieses St. Marys Heim auch nur annähernd so trostlos ist wie dieses hier, ertränkte ich mich heute Abend in einem Whiskyfass.“
Heather betrachtete prüfend Erics Gesicht. „Das nimmt dich ja ganz schön mit.“
„Natürlich! Ich hatte eine großartige Kindheit, Heather, Eltern, die mich, meine Schwester und sich gegenseitig geliebt haben, ein sicheres Zuhause, einen Hund, der mich begrüßte, wenn ich von der Schule kam, Fußballtraining und Freunde.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie schwer muss es sein, wenn man all das nicht hat? Ich kann fürwahr behaupten, dass wir im Leben meiner Eltern die Hauptrolle gespielt haben. Aber was muss es bedeuten, wenn man noch nicht einmal die Nebenrolle in jemandes Leben besetzt? Wenn man eine Zahl in einem Schlafsaal ist, ein Gedeck für den lieblosen Großküchenfraß?“ Sein Blick fand den ihren. „Ich sage nicht, dass diese ewige Entschuldigung von der schlechten Kindheit in unserem Fall auch nur irgendetwas ansatzweise rechtfertigt, aber ich sage, dass kein Kind so aufwachsen sollte.“
Heathers Mund stand offen und obwohl sie irgendetwas Sinnvolles erwidern wollte, schaffte sie es nur eine
Weitere Kostenlose Bücher