Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
»Mama«, fragte sie mit leiser furchtsamer Stimme, »wann war das? Als du damals auf den Ball gingst und Papa kennenlerntest –?«
»Wann? Warte mal! Das muß – ja, neununddreißig ist das gewesen!«
Neununddreißig, neunundvierzig, neunundfünfzig – vor zwanzig Jahren also! Dann war Mama jetzt erst fünfunddreißig Jahre alt!
Eine böse Hand griff nach ihrem Herzen. Sie schluckte krampfhaft. Aus dem Hinterhof hörte sie, wie Budge sein Beil in die Holzscheite trieb; er sang vergnügt mit klarer Stimme:
»Als die Arbeit vorbei war, ging ich Jinny besuchen.
Und Jinny setzte den Topf aufs Feuer.
Und Jinny setzte den Topf aufs Feuer.
Das tat Jinny, mein Schatz –!«
Corrie Mays Fäuste ballten sich; sie fühlte sich hilflos vor Furcht. Sie stand mitten in der Küche. Ihren Budge also sollte sie heiraten. Und wenige Jahre danach würde sie ebenso anzuschauen sein, wie ihre Mutter jetzt aussah! Sie dachte an ihr Erlebnis vom Vormittag: in einer ihrer wunderbar gepflegten Hände hatte Miß Sheramy die Handschuhe gehalten und mit der anderen die Schwäne gefüttert.
Sie dachte an Denis Larne, wie er am Wagen gestanden hatte; sie versuchte sich vorzustellen, wie Ann Sheramy wohl in zwanzig Jahren aussehen mochte – ach, ihre Hände würde sie dann immer noch wunderbar pflegen.
Plötzlich kamen ihr die Worte in den Sinn, die sie von ihrem Vater vernommen hatte – vor einer Viertelstunde erst, als sie heimgekommen war! Sie hatte sie kaum begriffen, war viel zu zornig darüber gewesen, daß ihr Vater wieder uferlos schwatzte. Aber sie hatte sie doch behalten. Und nun mit einem Male wurde ihr klar, was ihr Vater gemeint hatte.
Wenn man die Sklavenhalterfamilien nicht mitzählte – so gab es sechs Millionen Weiße, die sich keine Sklaven halten konnten. Sechs Millionen, die wenig oder nichts ihr eigen nannten. Corrie May war klug genug, zu wissen, daß, wer Sklaven besaß, auch über alles andere verfügte. Wenn jemand zu Geld und Ehren kam in dieser Welt – das erste war, daß er sich einen Nigger kaufte.
»Herr Jesus!« sagte Corrie May ganz laut.
»Corrie May Upjohn!« rief ihre Mutter entsetzt. »Hör auf damit! Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen!«
»Gott hat bisher nicht viel für mich getan!« sagte Corrie May.
»Wie darfst du so reden!«
Mrs. Upjohn wrang das letzte Wäschestück aus, hängte es auf und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Hast du etwa kein Zuhause? Hast du nicht gute Geschwister, die alles bei mir abliefern, was sie verdienen? Hast du nicht genug zu essen? Hast du schon einmal keine Kleider mehr anzuziehen gehabt? Hast du nicht einen feinen jungen Mann, der dir schöne Augen macht? Was willst du wohl noch? Auf den Knien solltest du deinem Schöpfer danken, daß er's so gut mit dir meint! Wenn ich an andere denke …«
»Ach, laß nur! Ich sage nichts mehr!« fiel ihr Corrie May ins Wort. Sie fühlte sich hilflos. Eine graue Wand türmte sich vor ihr auf. Ihr Schicksal schien seit Menschenaltern beschlossen. Sie wurde einfach hineingezwungen; und jedermann schien an der feindlichen Verschwörung beteiligt: Mutter und Vater und Budge genauso wie die reichen Leute mit ihren Sklaven.
»Ich habe heute im Park Miß Ann Sheramy gesehen«, sagte Corrie May unvermittelt.
»Wirklich? Die Sheramys sind immerfort im Park zu treffen. Na, ich komm' schon lange nicht mehr hin.« Mrs. Upjohn fing plötzlich an zu kichern.
»Was lachst du?« wollte Corrie May wissen.
»Ich mußte an deinen Papa denken. Er erzählt manchmal die dollsten Geschichten. Er hat mir mal gesagt, er wäre mit den Sheramys verwandt.«
»Verwandt?« Corrie Mays Stimme klang dünn vor Unglauben. Mrs. Upjohn lachte: »Er denkt sich wirklich verrückte Sachen aus, manchmal wirklich! Das ist einer! Sein Vater hat es ihm erzählt; der hieß Gideon. Und Gideons Mutter soll eine Dame aus Cuba gewesen sein. Zuerst war sie mit einem von den Sheramys verheiratet; dann hat es einen großen Krach gegeben, und die Sheramys setzten sie an die Luft. Sie verzog sich hierher zum Rattletrap Square; Gideons Vater lief ihr über den Weg, und sie heiratete ihn. Dein Vater erzählt manchmal das Blaue vom Himmel herunter – das kann ich dir sagen!«
»Glaubst du daran?« fragte Corrie May nachdenklich.
»Ach, bewahre! Was dein Papa so alles daherredet – davon stimmt kaum die Hälfte! Stell jetzt den Teig aufs Feuer!«
Corrie May goß den zähen Teig in die Pfanne und rückte ihn aufs
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