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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Dame ist Frau Jousseur, ihre Schwester.«
    Pierre erinnerte sich, den Namen der Frau Jousseur in den Zeitungen gelesen zu haben. Sie war die Gattin eines Diplomaten und spielte eine große Rolle in der vornehmen katholischen Welt in Paris. Sie war sehr hübsch, mit einer wunderbaren Einfachheit gekleidet und um ihre arme Schwester mit dem Ausdrucke der hingehendsten Aufopferung beschäftigt. Der Gatte, der vor kurzem das große Bankhaus seines Vaters geerbt hatte, war ein schöner, mit peinlicher Sorgfalt gekleideter Mann von fünfunddreißig Jahren, mit hellem Teint. Seine Augen schwammen in Tränen, denn er liebte seine Frau abgöttisch und hatte alle seine Geschäfte im Stich gelassen, da er seine Frau durchaus selbst hatte nach Lourdes bringen wollen. In diesen Anruf der göttlichen Barmherzigkeit setzte er seine letzte Hoffnung.
    Pierre hatte viele entsetzliche Leiden gesehen in diesem schmerzensreichen weißen Zuge. Aber nichts erschütterte ihn so wie dieses jammervolle Frauenskelett, das sich mitten in seinen Spitzen und seinen Millionen auflöste.
    »Die Unglückliche!« flüsterte er zusammenschaudernd.
    Den Abbé Judaine überkam eine Freudigkeit himmlischer Hoffnung. Er sagte vertrauensvoll:
    »Die Heilige Jungfrau wird sie heilen, ich habe sie so heiß darum angefleht.«
    Jetzt ertönte noch einmal die Glocke, und diesmal war es das Zeichen zur Abfahrt. Noch zwei Minuten hatte man Zeit. Ein letztes Drängen und Hasten begann. Leute kamen zurück mit Nahrungsmitteln in Papier eingewickelt, mit Flaschen und Krügen, die sie an dem Brunnen gefüllt hatten. Viele konnten ihren Wagen nicht wiederfinden, und liefen verzweifelt den Zug entlang, während die Kranken sich unter dem beschleunigten Geklapper der Krücken rascher vorwärtsschoben und andere, denen das Gehen Schwierigkeiten verursachte, am Arme von Pflegerinnen ihre Schritte zu beschleunigen suchten. Vier Männern kostete es unendliche Mühe, Frau Dieulafay wieder in ihre Abteilung erster Klasse zurückzuschaffen. Schon waren die Vignerons, die sich begnügten, zweiter Klasse zu reisen, wieder in ihrer Abteilung mitten unter einer gewaltigen Menge von Körben, Kasten und Koffern, die es dem kleinen Gustave unmöglich machten, seine armen, verkrüppelten Glieder auszustrecken. Dann erschienen sie alle wieder: Frau Maze glitt in ihrer stummen Weise herein; Frau Vincent hob ihr liebes Töchterchen vorsichtig in den Wagen, immer von der Angst gepeinigt, sie plötzlich einen Schrei ausstoßen zu hören. Frau Vêtu mußte hereingeschoben werden, nachdem man sie aus der Betäubung ihrer Schmerzen erweckt hatte. Elise Rouquet, die sich bei ihrem gierigen Trinken naß gemacht hatte, wischte sich ihr furchtbares Gesicht ab. Während jeder seinen Platz wieder einnahm, hörte Marie ihrem Vater zu, der ganz entzückt war, daß er bis an das Ende des Bahnhofs gegangen, bis zu einem kleinen Weichenstellerhäuschen, von wo aus man ein wirklich sehenswertes Landschaftsbild zu sehen bekäme.
    »Wünschen Sie, daß wir Sie sofort wieder niederlegen?« fragte Pierre, den das angstverzerrte Gesicht der Kranken tief bekümmerte.
    »O nein, nein, nachher!« antwortete sie. »Ich habe noch Zeit genug, die Räder in meinem Kopfe rasseln zu hören!«
    Schwester Hyacinthe bat Ferrand, noch einmal nach dem Manne zu sehen, bevor er in den Küchenwagen zurückkehrte. Sie wartete immer noch auf den Pater Massias, sehr verwundert über sein unerklärliches Ausbleiben. Sie verzweifelte aber trotzdem nicht, denn auch Schwester Claire des Anges war noch nicht wieder erschienen.
    »Bitte, Herr Ferrand, sagen Sie mir, ob der Unglückliche in direkter Gefahr schwebt.«
    Von neuem untersuchte, behorchte und beklopfte ihn der junge Arzt. Dann zuckte er entmutigt die Achseln und sagte mit leiser Stimme:
    »Meine feste Überzeugung ist, daß Sie ihn nicht mehr lebend nach Lourdes bringen werden.«
    Alle Köpfe fuhren beängstigt in die Höhe. Wenn man nur wenigstens den Namen des Mannes gewußt hätte, woher er käme und wer er wäre! Aber niemand kannte den Unglücklichen, aus dem kein einziges Wort herauszubringen war und der in dem Wagen sterben wollte, ohne daß jemand imstande gewesen wäre, einen Namen auf sein Grab zu setzen!
    Schwester Hyacinthe kam der Gedanke, ihn zu durchsuchen.
    »Herr Ferrand, sehen Sie doch einmal in seine Taschen!«
    Vorsichtig durchsuchte er den Mann. In den Taschen fand er nichts weiter als einen Rosenkranz, ein Messer und drei Sous. Daraus ließ sich nichts

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