001 - Vampire unter uns
Ich blickte die Reihen der erleuchteten Fenster hoch. Das symmetrische Lichtmuster des Hochhauses verschwamm vor meinem Blick, und ich kniff die Augen zusammen. In diesem Moment verfluchte ich den Anfall von Mut, der mich dazu verleitet hatte, dem unheimlichen Besucher eine Falle zu stellen.
Ich fröstelte.
Deutlich sah ich die beiden Schatten hin und her schwanken – den zierlichen Marthas und einen größeren, den eines Mannes.
Es war das vierte Mal, dass Martha ihn empfing, obwohl sie es heftig bestritt und diesmal wohl wieder bestreiten würde. Das verblüffte mich umso mehr, als ich sogar seine Stimme vernommen hatte – eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. Aber alles Nachdenken hatte mich nicht weitergebracht.
Alle drei Male war ich während seines Besuches dazwischengekommen und hatte niemanden vorgefunden. Nur eine erstaunte Martha, die mich ansah, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf.
Alle Logik sprach dafür, dass sie Recht hatte.
Wir wohnten im sechsten Stock eines Hochhauses mit glatten Mauern, vor denen selbst ein genialer Fassadenkletterer passen musste. Nur eine einzige Tür führte in die Wohnung. Deutlich hatte ich seine Stimme durch diese Tür gehört. Ich hatte geöffnet – aus! Stille! Martha kam mir aus der Küche entgegen – unbefangen, frei von Schuldbewusstsein, verwirrt über meine unverhohlene Neugier, mein offen zur Schau getragenes Misstrauen.
Natürlich war niemand hier gewesen!
Wer sollte auch?
Zum Teufel, dachte ich. Dort oben ist jemand. Und diesmal kommt die Wahrheit ans Licht.
Ein Tonbandgerät lief, und wenn dieser gespenstische Besucher auch nur eine Silbe sprach, konnte ich wenigstens in einer Beziehung beruhigt sein: Ich war nicht verrückt.
Grimmig beobachtete ich eine Weile das Fenster. Konnte das tatsächlich noch Halluzination sein? Wo blieb nur Hammerstock? Beunruhigt blickte ich die abendlich dunkle Straße entlang. Es war dabei nicht so sehr der Gedanke, dass Martha mich betrog, der mich aufwühlte, sondern die unheimliche Art und Weise, in der es geschah. Ich war nicht eifersüchtig.
Ich liebte Martha. Eifersucht ist etwas für Narren, die besitzen wollen oder selbst besessen sind. Die drei Jahre unserer Ehe waren recht harmonisch verlaufen, und ich hatte nicht das Gefühl, dass Martha unzufrieden war und nach Abenteuern dürstete. Sie war auch ihrem ersten Mann treu gewesen, der vor fünf Jahren starb. Ich hatte ihn nur flüchtig gekannt.
Was mich auch verblüffte, war Marthas plötzliches schauspielerisches Talent. Sie hatte ihre Regungen nie besonders gut verbergen können. Aber ihre Entrüstung, ihr Erstaunen, als ich sie zur Rede stellte, waren verdammt echt gewesen.
Ein Wagen näherte sich dem Haus und hielt. Aufatmend sah ich den Detektiv und einen zweiten Mann aussteigen. Ich winkte kurz.
Sie liefen über die Straße auf mich zu.
»Hammerstock und Co.«, begrüßte mich der Detektiv schnaufend und deutete auf seinen Begleiter. »Das ist
Witters, mein Mitarbeiter. Keine Angst, Herr Mertens, Diskretion garantiert. Aber es schien mir notwendig, da Sie am Telefon erwähnten, das Haus hätte auch noch einen Ausgang in den Hof.«
»Diesmal haben wir ihn!« sagte ich aufgeregt und deutete zu dem Fenster hinauf.
Die beiden blickten in die Höhe.
»Sechster Stock, drittes von links, sagten Sie?«
»Ja«, stimmte ich zu. »Das mit den rotbraunen Vorhängen.«
Aber es war nicht viel zu sehen. Beide Schatten waren verschwunden. Der Detektiv schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe, Sie irren sich nicht«, meinte er. »Behalten Sie das Fenster im Auge, Witters.«
»Nein, ich irre mich nicht«, sagte ich heftig.
Er antwortete nicht. Er zog eine Kamera hervor, steckte umständlich ein Teleobjektiv auf und visierte das Fenster an.
»Wie lange ist er schon oben?«
»Genau …« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »Genau siebzehn Minuten.«
»Ah, da sind sie«, sagte er. Er hatte die Kamera ans Auge gepresst.
Rasch sah ich hoch. Ja, da waren sie wieder, die beiden Schatten.
»Sie haben recht, es sind zwei«, stellte Hammerstock fest.
»Witters, gehen Sie zum Hofausgang.«
»Gut, Boss«, erwiderte Witters mit dünner Stimme, die bei seinem mächtigen Körperbau ein wenig seltsam anmutete.
Als er im Haus verschwand, hielt ich es nicht mehr aus.
»Was geschieht jetzt?« drängte ich.
»Geduld«, mahnte der Detektiv ruhig. »Geben Sie ihm noch ein wenig Zeit. Er kann uns nicht mehr entwischen.
Wenigstens nicht, ohne dass wir ihn
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