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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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blitzschnell an dem Bahnhof von Brétigny vorüber – als sich Schwester Hyacinthe erhob. Sie leitete die Andachtsübungen, deren Verlesung die meisten der Pilger in einem Buche mit blauem Einbande folgten.
    »Das Angelus, meine Kinder«, sagte sie, wie eine Mutter ihnen zulächelnd, was ihrer Jugend so reizend stand.
    Von neuem folgten die Ave aufeinander. Und als sie beendet waren, beobachteten Pierre und Marie voll Teilnahme zwei Frauen, die die anderen beiden Ecken ihrer Abteilung einnahmen. Die eine von ihnen, die zu Mariens Füßen saß, war eine zarte blonde Erscheinung mit dem Aussehen einer Bürgersfrau, etwa dreißig Jahre alt, aber vor der Zeit verblüht. Sie hielt sich bescheiden im Hintergrunde und nahm kaum etwas Platz weg mit ihrem dunklen Kleide, den gebleichten Haaren, ihrer langen, schmerzgebeugten Gestalt, die hoffnungslose Verlassenheit und unermeßliche Trauer atmete. Die andere ihr gegenüber, die auf derselben Bank wie Pierre saß, eine Arbeiterin von gleichem Alter, mit einer schwarzen Haube und einem von Elend und Sorgen entstellten Gesicht, hielt auf ihren Knien ein kleines siebenjähriges Mädchen, das aber kaum vier Jahre alt zu sein schien, so blaß und verkümmert sah es aus. Die Nase war dünn, die Augenlider bläulich und geschlossen in dem wachsbleichen Gesicht. Sprechen konnte das Kind nicht, es hatte nur ein leises Klagen, ein schwaches Stöhnen, das jedesmal das Herz der Mutter zerriß.
    »Würde das Kind vielleicht einige Weinbeeren essen?« fragte die bis dahin stumme Dame in zaghaftem Tone. »Ich habe welche in meinem Korbe.«
    »Ich danke«, antwortete die Arbeiterin. »Sie nimmt nur Milch und ... Ich habe mich damit vorgesehen und eine Flasche voll mitgenommen.«
    Und dann erzählte sie, dem Mitteilungsbedürfnis der Elenden nachgebend, ihre Geschichte. Sie hieß Frau Vincent; sie hatte ihren Mann verloren, der, Goldarbeiter von Beruf, an der Schwindsucht gestorben war. Allein geblieben mit ihrer kleinen Rose, die ihre Leidenschaft war, hatte sie Tag und Nacht als Näherin sich abgearbeitet, um sie groß zu ziehen. Da war die Krankheit gekommen. Seit vierzehn Monaten hatte sie das Kind auf ihren Armen gehalten, das immer elender wurde und zurückging und ganz und gar verfiel. Da war sie, die nie zur Messe ging, eines Tages, von Verzweiflung getrieben, in eine Kirche getreten, um Genesung für ihre Tochter zu erflehen; und da hatte sie eine Stimme vernommen, die ihr riet, das Kind nach Lourdes zu bringen, wo sich die Heilige Jungfrau seiner erbarmen würde. Da sie niemand kannte und auch nicht wußte, wie die Wallfahrten eingerichtet waren, so hatte sie nur den einen Gedanken gehabt: zu arbeiten, Geld zur Reise zu sparen, ein Billett zu nehmen und mit den dreißig Sous, die ihr übriggeblieben waren, abzufahren und nur eine Flasche Milch für das Kind mitzunehmen, ohne auch nur daran zu denken, für sich selbst ein Stück Brot zu kaufen.
    »Welche Krankheit hat die liebe Kleine denn?« fragte die Dame.
    »Oh, der Leib ist sicherlich nur aufgetrieben. Aber die Ärzte haben andere Namen dafür. Zuerst hatte sie nur leichte Leibschmerzen. Dann schwoll der Leib an, und sie litt so schwer, daß es einem die Tränen aus den Augen trieb. Jetzt hat sich der Leib wieder gesenkt, aber sie lebt eigentlich gar nicht mehr, sie hat keine Kräfte mehr, so mager ist sie geworden, und durch das unaufhörliche Schwitzen zehrt sie sich noch ganz ab.«
    Die Mutter beugte sich, als Rose stöhnte und die Augen öffnete, bestürzt und erblassend zu ihr nieder.
    »Mein Kleinod, mein Schatz, was willst du? ... Willst du trinken?«
    Das kleine Mädchen schloß seine leeren Augen wieder, deren mattes Blau man einen Augenblick hatte sehen können. Sie antwortete nicht einmal und lag in ihrem totenähnlichen Zustand zurückgesunken, in ihrem weißen Kleidchen ganz weiß da, eine letzte Koketterie der Mutter, die diese unnötige Ausgabe gemacht hatte in der Hoffnung, die Heilige Jungfrau würde der kleinen Kranken viel gnädiger sein, wenn sie gut und ganz weiß gekleidet wäre.
    Nach einem kurzen Stillschweigen fing Frau Vincent das Gespräch von neuem an:
    »Und Sie, Sie reisen gewiß Ihretwegen nach Lourdes? Man sieht es Ihnen an, daß Sie krank sind.«
    Die Frau fuhr erschreckt zusammen und sank dann schmerzgebeugt in ihre Ecke zusammen, indem sie murmelte:
    »Nein, nein! Ich bin nicht krank ... Wollte Gott, ich wäre krank! Ich würde dann weniger leiden.«
    Sie hieß Frau Maze und trug in ihrem

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