0113 - Armaras Rückkehr
Mahmet hob den Kopf und blickte kummervoll nach Osten, während sein 17jähriger Sohn Sidi die Heuballen schnürte.
»Was hast du?« fragte der Junge, als er seinen Vater besorgt den Kopf schütteln sah.
»Das gefällt mir nicht, gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Was?«
»Diese unheimliche Rötung des Himmels. Solange ich lebe, habe ich so etwas noch nicht gesehen. Ich sage dir, das hat nichts Gutes zu bedeuten. Allah möge uns beschützen.«
Sidi blickte ebenfalls nach Osten. Über der gewellten Sahara, die sich bis in die Ewigkeit zu erstrecken schien, war ein blutroter Streifen zu sehen, der sich in der Mitte verdichtete, während er nach links und nach rechts allmählich heller wurde und sich schließlich am Horizont verlor.
»Das beunruhigt mich nicht«, meinte Sidi.
»Weil du noch jung und unbekümmert bist. Aber ich habe von Gefahren gehört, die auf den Menschen in der Wüste lauern, die nicht von dieser Welt sind. Bedrohungen des Bösen. Angriffe aus dem Jenseits. Ja, mein Sohn, auch das gibt es. Seit vielen Jahren kenne ich die Wüste nun schon, aber sie gibt mir immer wieder neue Rätsel auf, und einige davon kann kein Mensch lösen!«
Sidi berührten die Worte seines Vaters unangenehm. Er hatte ihn noch nie so sprechen gehört.
Mahmet war normalerweise ein unerschrockener, lebenslustiger Mann, der jeder Gefahr ins Auge sah.
Daß er jetzt unter anderem leise seufzte: »Hoffentlich überleben wir’s!«, konnte Sidi nicht verstehen.
Ihm wurde mit einemmal eigenartig ums Herz, und wenn er nach Osten sah, dann fühlte er so etwas wie Furcht in der Brust.
Seit drei Tagen waren sie unterwegs, und wenn Sidi sich zurückerinnerte, so glaubte er, erste Anzeichen dieses roten Streifens am Horizont schon vorgestern gesehen zu haben.
»Es verfolgt uns«, murmelte Mahmet. »Es schleicht hinter uns her wie ein Wesen aus einer unbekannten Welt. Tückisch, gemein, gefährlich. Es scheint nur auf den richtigen Augenblick zu warten, um über uns herfallen zu können. Vielleicht, wenn wir schlafen…«
»Kann es sich nicht um einen Sandsturm handeln?«
»Schon möglich. Aber es ist bestimmt kein gewöhnlicher Sandsturm, denn er wäre schon längst über uns hinweggebraust.«
Sidi spürte einen leichten Schauer über seinen Rücken rieseln. Er kannte Geschichten von Dämonen und Teufeln. Man erzählte sie sich manchmal an den Lagerfeuern.
Er hatte sie noch nie gern gehört. Sie machten ihm Angst, weil er zu sehr dem Guten verbunden war. Dadurch erschreckte ihn das Böse und schüchterte ihn ein.
Im Gegensatz zu vielen anderen Jungen in seinem Alter, die über solche Geschichten lachten und sich lustig machten, war er davon überzeugt, daß es das Böse in vielen entsetzlichen Auswüchsen gab, und deshalb scheute er sich davor mitzulachen, wenn seine Freunde darüber ihre Witze machten.
Sidi war mit seinem Vater nach Arak, einer kleinen Oase, unterwegs. Sie wollten da auf dem Markt ihre Tiere verkaufen.
20 Kamelbullen waren es diesmal, die sich im Laufe des Jahres einen prächtigen Höcker angefressen hatten.
»Bist du bald soweit?« fragte Mahmet seinen Sohn.
»Ja, Vater.«
Die Kamele kauten mißmutig auf den Leinen, die um ihren Unterkiefer geknotet waren und sie mit dem Heuballen auf dem Vordertier verbanden.
Es war kein leichtes Leben, das Mahmet und Sidi führten, aber sie waren so genügsam wie ihre Kamele und beklagten sich nie.
Die Wüste verlangt dem Menschen alles ab. Mahmet und Sidi legten Tag für Tag 50 Kilometer zurück, vom frühen Morgen bis in die Nacht auf dem harten Höcker.
Mittags stiegen die Temperaturen auf über 50 Grad Celsius, nachts froren die Männer unter ihrer dünnen Decke, wenn es sich bis auf zehn Grad abkühlte.
Es war ein hartes Leben. Aber sie nahmen es wie viele Nomaden in Kauf, denn sie waren frei. Und es gab keinen jungen Tuareg, der sich nicht auf sein erstes Abenteuer in der Wüste freute, denn erst danach war er bei den Frauen daheim angesehen. Erst dann durfte er den indigofarbenen Turban tragen, der das Gesicht bis zur Nasenspitze verbirgt und sich durch den Schweiß bald bläulich färbt.
Erst wenn ein Junge die Wüste durchquert hatte, wurde er zu einem jener »blauen Männer«, die – das eiserne Schwert ihrer Ahnen an der Seite – über die Wüste herrschten.
Sidi hatte die Tiere versorgt. Ihm kam es so vor, als wären sie an diesem Morgen außergewöhnlich unruhig.
Ob das mit jenem bedrohlichen roten Streifen im Osten zusammenhing? Witterten
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