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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wichtige Person geworden war. Wer konnte denn jetzt wissen, ob die vollständige Vernarbung, die in wenigen Sekunden vor sich gegangen sein sollte, nicht Tage in Anspruch genommen hatte? Wo waren die Zeugen?
    »Ich war da«, erzählte Frau von Jonquière. »Sie befand sich nicht in meinem Saale, aber ich hatte sie an dem betreffenden Morgen selbst getroffen, sie hinkte ...«
    Lebhaft unterbrach Pierre sie:
    »Ah! Sie haben ihren Fuß vor und nach dem Eintauchen gesehen?«
    »Nein, nein! Ich glaube überhaupt nicht, daß irgend jemand ihn hat sehen können, denn er war vollständig mit Kompressen umwickelt ... Sie hat Ihnen ja selbst erzählt, daß die Kompressen in die Quelle gefallen wären ...«
    Und sich an das Kind wendend, sagte sie:
    »Aber sie kann Ihnen ja ihren Fuß zeigen ... Nicht wahr, Sophie? Ziehe deinen Schuh aus!«
    Diese zog schon ihren Schuh und dann ihren Strumpf aus mit einer Gewandtheit und Leichtigkeit, die deutlich bewiesen, wie sehr sie bereits an diesen Vorgang gewöhnt war. Und sie streckte ihren sehr sauberen, weißen und sogar gepflegten Fuß aus mit rosigen, sauber verschnittenen Nägeln und drehte ihn mit einem gewissen Wohlgefallen herum, damit ihn der junge Priester bequem untersuchen könnte. Unter dem Knöchel befand sich eine lange Narbe, deren weißliche Spur von der Schwere des Leidens Zeugnis ablegte.
    »Oh, Herr Abbé, nehmen Sie nur den Knöchel in die Hand und drücken Sie ihn mit Ihrer ganzen Kraft. Ich fühle nichts mehr.«
    Pierre machte eine Bewegung mit der Hand, und man konnte glauben, die Allmacht der Heiligen Jungfrau bezaubere ihn. Zweifel beunruhigten ihn. Welche unbekannte Macht hatte da gewaltet? Oder vielmehr, welche falsche Diagnose des Arztes, welches Zusammenwirken von Irrtümern und Übertreibungen hatten zu diesem schönen Märchen geführt?
    Die Kranken wollten alle den Wunderfuß sehen, diesen sichtbaren Beweis der göttlichen Heilung, die sie alle suchten. Marie, auf ihrem Lager sitzend und schon weniger Schmerzen leidend, war die erste, die ihn berührte. Dann gab ihn Frau Maze, ihrer Melancholie entrissen, der Frau Vincent in die Hand, die ihn gern geküßt hätte wegen der freudigen Hoffnung, die er in ihr erweckte. Herr Sabathier hatte mit glückseligem Gesichte zugehört. Selbst Frau Vêtu, Frau Grivotte und der Bruder Isidor öffneten die Augen und zeigten einige Teilnahme. Sogar das Gesicht der Elise Rouquet hatte sich durch ihren Glauben verändert. Wenn eine solche Wunde verschwunden war, sollte sich da nicht auch ihre Wunde wieder schließen können, so daß ihr Gesicht nur eine leichte Narbe behielte und wieder wie die Gesichter aller Menschen wurde ? Sophie mußte sich an einer der Eisenstangen festhalten und ihren Fuß bald rechts und bald links auf die Scheidewand legen; sie wurde nicht müde, sondern war sehr stolz und glücklich über die Ausrufe, die überall laut wurden, Ausrufe voll zitternder Bewunderung und frommer Scheu, die man vor ihrer kleinen Person, vor dem kleinen Fuße empfand, der jetzt wie geweiht und geheiligt war.
    »Es ist ohne Zweifel ein fester Glaube nötig«, dachte Marie ganz laut; »man muß eine vollkommen reine Seele haben ...«
    »Und sich an Herrn von Guersaint wendend, sagte sie: »Vater, ich fühle, daß ich geheilt würde, wenn ich zehn Jahre alt wäre, wenn ich die vollkommen reine Seele eines jungen Mädchens hätte.«
    »Aber du bist ja doch noch ganz wie ein Kind von zehn Jahren, mein Liebling! Nicht wahr, Pierre, Mädchen von zehn Jahren können gar keine reinere Seele haben?« Mit seiner lebhaften Einbildungskraft und seinem phantastischen Sinne liebte er natürlich Wundergeschichten. Der Priester, tief bewegt von der inbrünstigen Reinheit des jungen Mädchens, vermied es, auf Erörterungen einzugehen und ließ sie ganz der tröstlichen Einbildung sich hingeben, die wie ein Wehen durch den Wagen rauschte. Seit der Abfahrt von Portiers war die Temperatur noch drückender geworden. Ein Gewitter zog an dem kupferfarbigen Himmel auf, und es war, als ob der Zug durch einen Schmelzofen hindurchführe. Ausgestorben und verlassen in der glühenden Sonne flogen Dörfer vorüber. In Couhd-Vernac betete man den Rosenkranz noch einmal. Dann wurde ein Choral gesungen. Aber diese Andachtsübungen kamen lässiger zur Ausführung. Schwester Hyacinthe, die bis jetzt noch nicht einmal hatte frühstücken können, hatte sich endlich dazu entschlossen, rasch ein kleines Brot und ein paar Früchte zu essen, fuhr aber

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