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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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trotzdem fort, den fremden Mann zu überwachen, dessen leises, mühsames Atmen seit einigen Minuten regelmäßiger zu sein schien. Es war drei Uhr, als man in Ruffee die Abendmette der Heiligen Jungfrau betete.
»Ora pro nobis, sancta Dei Genitrix,
Ut digni efficiamur promissionibus Christi.«
     
    Als man damit zu Ende war, wandte sich Herr Sabathier, der die kleine Sophie beobachtet hatte, während sie ihren Strumpf und ihren Schuh wieder anzog, an Herrn von Guersaint.
    »Der Fall dieses Kindes ist ohne Zweifel sehr interessant. Das ist aber noch gar nichts, es gibt noch viel wunderbarere Fälle ... Kennen Sie die Geschichte von Pierre de Rudder, dem belgischen Arbeiter?«
    Alle schickten sich sofort an, die Geschichte mitanzuhören.
    »Dieser Mann hatte bei dem Sturze von einem Baume das Bein gebrochen. Nach Verlauf von acht Jahren waren die beiden Knochenfragmente noch nicht wieder zusammengewachsen, man sah die beiden Enden tief drinnen in einer großen Wunde, aus der fortwährend Eiter floß. Das Bein hing kraftlos herunter und ließ sich nach allen Richtungen hin drehen und wenden ... Nun, bei ihm genügte es sogar, daß er ein Glas von dem wundertätigen Wasser trank, sein Bein war mit einem Schlage wiederhergestellt. Er konnte ohne Krücken gehen, und der Arzt hat zu ihm gesagt: ›Ihr Bein ist wie das eines soeben geborenen Kindes.‹ Es stimmte vollkommen! Ein wirklich ganz neues Bein!«
    Niemand sprach, es fand nur ein Austausch von verzückten Blicken statt.
    »Und so«, fuhr Herr Sabathier fort, »so ist auch die Geschichte des Steinhauers Louis Bouriette, eines der ersten Wunder von Lourdes. Kennen Sie die? ... Er war bei einer Minenexplosion verwundet worden. Das rechte Auge war ganz verloren, das linke stark gefährdet ... Da ließ er sich eines Tages von seiner Tochter eine Flasche Wasser von der Quelle holen, die noch kaum richtig floß. Mit diesem Wasser wusch er sein Auge und betete dabei heiß und inbrünstig. Plötzlich stieß er einen Schrei aus, er sah, er sah ebensogut wie Sie und ich ... Der Arzt, der ihn behandelte, hat darüber eine sehr ausführliche Abhandlung geschrieben, so daß auch nicht der leiseste Zweifel möglich ist.«
    »Es ist wunderbar«, sagte Herr von Guersaint entzückt.
    »Wollen Sie noch ein anderes Beispiel? Francois Macary, Fischer von Lavour, hatte seit achtzehn Jahren an der inneren Seite des linken Beines ein krampfaderiges Geschwür. Es war mit ihm schon so weit gekommen, daß er sich gar nicht mehr rühren konnte, und die Wissenschaft verurteilte ihn zu ewigem Siechtum ... Da schließt er sich eines Abends mit einer Flasche Wasser aus Lourdes ein. Er löst die Bandagen, wäscht sich die beiden Beine und trinkt den Rest der Flasche aus. Dann legt er sich nieder und schläft ein. Als er wieder erwacht, befühlt und betrachtet er sich, und siehe da, nichts ist mehr vorhanden! Alles ist verschwunden ... Die Haut am Knie war so glatt und so frisch, wie es mit zwanzig Jahren sein muß.«
    Diesmal erfolgte ein stürmischer Ausbruch des Erstaunens und der Verwunderung. Die Kranken und die Pilger traten ein in das Zauberland der Wunder, wo das Unmögliche sich verwirklicht, wo man gemächlich von Wunder zu Wunder schreitet. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen und brannte vor Begierde, seinen Glauben und seine Hoffnung durch ein Beispiel zu stützen.
    Die schweigsame Frau Maze war die erste, die sich zum Erzählen veranlaßt fühlte.
    »Ich habe eine Freundin, die die Witwe Rizan gekannt hat, die Dame, deren Heilung ebenfalls so großes Aufsehen erregte ... Seit vierundzwanzig Jahren war sie auf der ganzen linken Seite gelähmt. Sie gab wieder von sich, was sie aß, sie glich einer leblosen Masse, die man im Bette umdrehen mußte. Eines Abends befand sie sich so schlecht, daß der Arzt sagte, sie würde in der Nacht sterben. Eine Stunde später erwachte sie aus ihrer Betäubung und bat mit schwacher Stimme, ihre Tochter solle bei einer Nachbarin ein Glas Wasser aus Lourdes holen. Aber erst am folgenden Morgen konnte sie das Glas Wasser bekommen und rief: ›Oh, liebe Tochter, es ist das Leben, was ich trinke! Reibe mir das Gesicht, den Arm, das Bein, den ganzen Körper!‹ Und als die Tochter ihrem Befehle nachkam, sah sie, wie sich die Geschwulst nach und nach legte, wie die gelähmten und aufgetriebenen Glieder allmählich ihre Geschmeidigkeit und ihr natürliches Aussehen wiedergewannen ... Das war aber noch nicht alles; Frau Rizan rief, sie sei geheilt, sie habe

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