Lucy im Himmel (German Edition)
Schmerzen bereiten musste, hüpfte sie auf einem Bein die Treppe hinab. Dass sie sich dabei nicht das Bein brach, grenzte an unbeschreibliches Glück, denn helfen lassen wollte sie sich nicht. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie sich vor Gabriel aufgebaut und funkelte ihn angriffslustig an.
»Sie können Lucy nicht in den Himmel mitnehmen. Wir brauchen sie hier nämlich noch.«
Der Erzengel sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen erstaunt an. »Jetzt weiß ich wenigstens, warum Lucy sich so gut mit Ihnen versteht, Frau Middelhauve. Schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Sie haben uns da oben ziemlich auf Trab gehalten.«
Nun war es Bea, die die Stirn runzelte. »Wie meinen Sie das?«
»Zunächst einmal fände ich es schön, wenn wir dieses Gespräch drinnen fortsetzen würden. Nicht alle Nachbarn müssen mitbekommen, dass sie zu so später Stunde noch Besuch empfangen. Und außerdem tut es Ihrem Fuß sicher nicht gut, wenn Sie hier so lange herumstehen.«
Wir gingen alle vier ins Wohnzimmer und setzten uns. Noch immer wagte ich nicht, Gabriel in die Augen zu schauen, aus Angst, dort seine grenzenlose Wut und Enttäuschung über meine verpfuschte Mission zu lesen. Damit war dann sicher auch meine Engelsausbildung gestorben. Ich seufzte.
»Zügle deine Fantasie, Lucy. Was du schon wieder über mich denkst, lässt nicht nur vermuten, dass du ein furchtbar schlechtes Gewissen hast. Vielmehr scheine ich mich dir gegenüber bislang wie ein wahrer Berserker benommen zu haben.«
Ich schluckte, dann murmelte ich leise: »Ich weiß ja, dass ich alles falsch gemacht habe, was man nur falsch machen kann. Aber ich konnte einfach nicht tatenlos zuschauen, wie die zwei sich gestritten haben, nachdem Bea mein Foto auf dem Nachtkästchen entdeckt hatte. Ich mag doch beide so gerne, und Gregor sollte nicht glauben, dass sie überspannt ist.«
»Kein Mensch – und auch kein Engel – behauptet, dass du etwas falsch gemacht hast, Lucy. Ich wusste lange vor dir, was hier heute Abend passieren würde.«
Ich hob den Kopf und starrte ihn an.
»Ja, kraft meines Amtes kann ich ein bisschen in die Zukunft sehen. Bloß ein paar Tage, aber das ist manchmal ganz hilfreich.« Er lächelte. Jetzt wurde mir auch klar, warum er gewusst hatte, was ich mit den vier Frauen tun musste, die meinen Mann umschwärmt hatten, damit sie wieder ihrer eigenen Wege gingen und nach ihrer Façon glücklich wurden.
»Genau«, nickte der Erzengel, der wie stets meine Gedanken gelesen hatte. »Da ich schon einige Zeit im Voraus wusste, was geschehen wird, konnte ich unsere Ethik-Kommission einberufen, denn es galt eine Entscheidung zu fällen, die ich nicht allein schultern konnte.«
Gespannt sah ich ihn an.
»Und zwar ging es darum, ob wir es vertreten können, einer verstorbenen Person – die im Übrigen noch nicht einmal einen Antrag auf eine Engelsausbildung gestellt hat – zu ermöglichen, für einen gewissen Zeitraum für einen Menschen sichtbar auf der Erde zu wandeln.«
Ich hielt die Luft an.
»Wie du weißt, sind Engel grundsätzlich unsichtbar, wenn sie ihre Missionen erfüllen. Es gibt allerdings Situationen, die das Gegenteil erfordern. Deswegen hat der Himmels-Vorstand vor vielen Jahren eine Ausnahmeregelung verabschiedet und unsere Chemiker beauftragt, ein Mittel herzustellen, das die Transparenz unterdrückt.
In deinem Fall gab es ein Problem, das wir gründlich erörtern mussten: Einerseits ist festgelegt, dass Engel stets ein anderes als ihr tatsächliches Aussehen annehmen müssen, wenn sie als sichtbare Helfer auf Erden wandeln. Andererseits wollten wir deinem Mann ermöglichen, sich davon zu überzeugen, dass es dich wirklich gibt und weder er noch Frau Middelhauve von einem plötzlichen Anfall geistiger Umnachtung erfasst wurden. Deswegen macht es nur Sinn, wenn du in deiner ursprünglichen Menschengestalt hier sein kannst.
Nach reiflicher Überlegung und Abwägung sämtlicher Aspekte sind wir zu einem Kompromiss gelangt: Du darfst noch vierundzwanzig Stunden auf der Erde verbringen. Schlag Mitternacht musst du jedoch in den Himmel zurückkehren.«
Mir rutschte das Herz in die Hose.
»Zumindest bis auf weiteres. Was danach kommt, werden wir sehen. Da lege ich mich heut nicht fest.«
Ich verstanden: Es war kein endgültiges
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