Lucy & Olivia - Die Vampirprüfung
»Ich muss mit dir reden. Erinnerst du dich noch an diesen Hotelauftrag, den ich vor ein paar Wochen erwähnt habe?«, fragte er.
»Du meinst den in Europa?«, antwortete Lucy mit einer Gegenfrage.
Ihr Vater nickte zur Bestätigung. Eine Kette von Vampir-Hotels hatte ihn als Innenarchitekten engagieren wollen. Es war ein wirklich gutes Angebot gewesen, aber er hatte gesagt, er wolle Franklin Grove nicht verlassen.
»Ich habe die Stelle angenommen«, verkündete Mr Vega.
Lucy blinzelte. »Ich dachte, du hättest schon abgesagt.«
»Hatte ich auch.« Er räusperte sich. »Aber jetzt haben sie mir ein Angebot gemacht, das ich nicht abschlagen konnte.«
»Was?« Lucy schnappte nach Luft.
»Ich muss.« Er schwieg. »Ich würde meines Lebens nicht mehr froh, wenn ich diesen Job nicht annehmen würde. In etwa drei Wochen fange ich an.«
Lucy fröstelte. Sie zog die Schlafanzugärmel bis über die Handgelenke. »Das heißt, du ziehst nach Europa?«
Ihr Vater nickte zaghaft.
»Und wie soll ich bitte hier in Franklin Grove bleiben, wenn du nach Europa gehst?«, wollte sie wissen.
Er zog ein schwarzes Taschentuch aus seiner Tasche und verdrehte es geistesabwesend. »Du wirst nicht hierbleiben«, sagte er mit schmerzlichem Gesichtsausdruck. »Du kommst mit mir.«
Lucy wurde das Herz schwer. »Du nimmst mich aus der Schule?«
»In Luxemburg gibt es eine sehr gute Schule für Mädchen wie dich«, antwortete ihr Vater bedrückt.
»Das geht nicht!«, rief sie entsetzt und schlang die Arme um ein schwarzes Katzenkissen.
»Wir müssen«, entschied ihr Vater.
»Ich habe hier all meine Freunde!«, flehte Lucy ihn an.
»Du wirst neue Freunde finden«, versuchte Mr Vega, seine Tochter zu beruhigen.
»Und was ist mit Olivia?«, schluchzte Lucy.
Ihr Vater betrachtete seine Hände. »Es tut mir leid«, sagte er leise.
Lucy spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Warum tust du das?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Lucy, ich nehme diese Stelle deinetwegen an«, begründete er seine Entscheidung sanft. »Eines Tages, wenn du selbst Kinder hast, wirst du das verstehen.« Ohne noch etwas zu sagen, wandte er sich zum Gehen. Bevor er die Treppe hochstieg, drehte er sich noch einmal um und sah sie ernst an. »Wir ziehen in den Weihnachtsferien um. Ich weiß, wie schwer das für dich sein wird, Lucy. Aber versuch, es als neues Abenteuer zu sehen. Für uns beide«, schloss er. Dann war er weg.
Lucy war fassungslos.
Ich kann doch nicht aus Franklin Grove wegziehen. Ich kann doch Olivia und meine Freunde nicht verlassen. Das ergibt doch alles keinen Sinn !
Lucy griff instinktiv nach dem Telefon, aber dann stellte sie fest, dass es zu spät war, um noch jemanden anzurufen. Sie vergrub das Gesicht in ihrem Katzenkissen und blieb grübelnd so liegen. Noch Stunden später war sie unfähig einzuschlafen.
Als Olivia am Freitagmorgen aus ihrer Tutorengruppe kam, warteten Lucy und Sophia auf sie. Lucys Stimme klang zittrig hinter ihren schwarzen Haaren hervor. »Kannst du einen Moment mit zu den Klos bei den Labors kommen?«
Arme Lucy, dachte Olivia. Dieser ganze Trubel nimmt sie wirklich mit .
Einen Moment später waren die drei alleine auf der leeren Toilette. Lucy strich sich die Haare aus dem Gesicht, und Olivia konnte sehen, dass ihre Augen rotgeweint waren.
»Was ist denn los?«, fragten Olivia und Sophia gleichzeitig.
Lucy lächelte einen Augenblick. Dann fiel ihr Gesicht zusammen wie eins dieser Gebäude, die gesprengt werden, um Platz für ein Parkhaus zu machen. »Ich ziehe nach Europa«, brach es schluchzend aus ihr heraus.
Sophia warf einen Seitenblick auf Olivia. »Hat sie gerade gesagt, sie ›fliegt auf meinen Opa‹?«
»I-ich g-glaube, sie hat ges-sagt, sie zieht nach Europa«, stammelte Olivia.
»Was?«, rief Sophia.
Lucy nickte.
Olivia streckte ihre Hand aus, und Lucy griff danach, als wäre es ein Rettungsring. Sophia nahm Lucys andere Hand.
»Schon gut«, flüsterte Olivia und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren.
»Und wann?«, fragte Sophia.
Lucy brauchte drei Anläufe, bevor sie die Antwort rausbrachte. »In den Weihnachtsferien«, schluchzte sie.
»Aber bis dahin sind es ja gerade mal drei Wochen!«, rief Sophia, und Olivia rutschte das Herz bis in die Turnschuhe.
»Warum?«, fragte Olivia mit angespannter Stimme.
Lucy konnte nicht antworten.
Ohne ihre Hand loszulassen, ging Olivia vorsichtig rüber zum Handtuchspender an der Wand und zog ein paar Papierhandtücher
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