Lucy & Olivia - Die Vampirprüfung
heraus. Sie gab sie Lucy, die sich damit die Nase putzte.
Lucy holte tief Luft. »Mein Dad hat eine Stelle in Luxemburg angenommen«, erklärte sie. Sie betonte »Luxemburg«, als wäre es der Nordpol.
Olivia schüttelte langsam den Kopf. Ihr Spiegelbild verschwamm, als sich ihre Augen ebenfalls mit Tränen füllten. »Aber du kannst doch jetzt nicht wegziehen«, sagte sie. »Wir haben uns doch gerade erst gefunden!«
»Du kannst nicht wegziehen«, wiederholte Sophia. »Du bist meine beste Freundin!«
»Ich muss«, antwortete Lucy, und jetzt schluchzten sie alle drei. Sie umarmten sich und heulten.
Als sich Olivia schließlich losriss, waren die Gesichter von Sophia und Lucy mit schwarzer Wimperntusche verschmiert. Sie musste unwillkürlich lachen. »Ihr seht wie Waschbären aus.«
»Du auch!«, konterte Sophia, die gleichzeitig lachte und weinte.
Olivia sah in den Spiegel. Sophia hatte recht. Das Grufti-Make-up der beiden hatte auf ihr Gesicht abgefärbt. Olivia wusch sich das Gesicht und begann, neues Rouge aufzutragen, als ihr noch etwas einfiel. »Hast du es Brendan schon gesagt?«, fragte sie Lucy.
Lucy sagte nichts, aber plötzlich nahm ihre Haut eine Farbe an, die Olivia nie zuvor an ihr gesehen hatte. Es war rosa, als würde sie rot anlaufen.
»Sie wird ohnmächtig!«, rief Sophia.
Lucys Augenlider zuckten und sie sackte am Waschbecken zusammen.
Olivia griff nach ihr und hielt sie aufrecht. Sophia drehte den Wasserhahn auf und spritzte Lucy eine Hand voll Wasser ins Gesicht. Nichts geschah! Also versuchte Sophia es noch einmal.
»Stopp!«, prustete Lucy. »Hör auf!« Sie stand jetzt wieder auf eigenen Füßen und funkelte Sophia an. »Was hast du vor – willst du mich ertränken?«
»Du bist ohnmächtig geworden«, entschuldigte sich Sophia.
»Was? Ich werde nie ohnmächtig!«, Lucy konnte es nicht glauben.
»Olivia hat dich nach Brendan gefragt«, erklärte Sophia behutsam.
Lucy blinzelte. Dann stieß sie einen gequälten Seufzer aus. »Oh ja, stimmt«, flüsterte sie.
»Ich dachte, man wird blass, bevor man ohnmächtig wird«, wunderte sich Olivia.
»Vampire nicht.« Sophia schüttelte den Kopf. »Wir erröten.«
Lucy begann, sich das Gesicht mit einem Papierhandtuch abzutrocknen. »An Brendan hatte ich noch gar nicht gedacht«, gab sie heiser zu. »Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht daran denken. Euch beide zu verlieren, ist schon schlimm genug.«
Olivia biss die Zähne zusammen. Sie wollte nicht schon wieder anfangen zu weinen.
»Ich geh heute Abend mit ihm ins Einkaufszentrum«, fuhr Lucy unglücklich fort. »Dann werde ich es ihm wohl beichten müssen.«
Sie standen nebeneinander vor dem Spiegel und machten sich schweigend wieder zurecht. Nachdem sie Lucy noch mal umarmt hatte, ging Sophia als Erste, weil sie vor der nächsten Stunde noch ein Buch aus ihrem Schließfach holen musste.
Als Lucy ihre Wimperntusche wieder aufgetragen hatte, starrte Olivia zu Boden.
»Meinst du, wir sollten weiter nach der Wahrheit über unsere Eltern suchen?«, fragte sie.
»Dass du über die Existenz von Vampiren Bescheid weißt, ändert sich ja nicht dadurch, dass ich wegziehe«, erwiderte Lucy, wobei sie das Wort »Vampire« nur mit den Lippen formte. »Jetzt, wo ich nicht in der Nähe sein werde, um dich zu beschützen, ist es wahrscheinlich sogar
noch wichtiger, einen Grund zu finden, warum du das Geheimnis kennen darfst.«
Olivia nickte und ein schmales Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Ihre Schwester hatte recht – und so oder so wollte sie die Wahrheit über ihre Eltern erfahren.
»Kann ich dich besuchen kommen?«, fragte Olivia zaghaft.
Lucys Spiegelbild sah ihr in die Augen. »Wehe, wenn nicht!« Sie drehte sich um und umarmte ihre Schwester.
Gleichzeitig schwangen sich Olivia und Lucy ihre Taschen über die Schultern und machten sich auf den Weg nach draußen. »Kommst du denn trotzdem morgen Mittag zum Essen?«, wollte Olivia wissen. »Meine Mom kann’s gar nicht erwarten, mit uns shoppen zu gehen.«
»Aber klar.« Lucy grinste, als sie die Tür aufzog und vor Olivia her auf den hektischen Gang hinaustrat. »Noch bin ich nicht weg.«
Am Freitagabend stand Lucy neben dem Eingang zur Einkaufspassage im Dunkeln. Sie war zwischen die Wand und ein sperriges Spiel-Flugzeug-Cockpit gezwängt. Von dort aus konnte sie unentdeckt Brendan beobachten, der neben der Tischtennisplatte auf der anderen Seite der Halle auf sie wartete. Seine breiten Schultern waren in eine
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