Lucy Sullivan wird heiraten
hatte ich das empfindliche Gleichgewicht zwischen meinen beiden Mitbewohnerinnen und mir gestört. Solange jede von uns dreien einen Freund hatte, war alles in Ordnung gewesen. Wenn ein Paar – aus welchem Grund auch immer – das Wohnzimmer für sich allein haben wollte, brauchten die beiden anderen lediglich in ihr jeweiliges Zimmer zu gehen, wo sie für ihre eigene Unterhaltung sorgen konnten.
Jetzt aber, da ich allein war, verursachte ich dem Paar, das ins Wohnzimmer wollte, ein schlechtes Gewissen, weil es mich damit zur Isolation in meinem eigenen Zimmer verurteilte. Als Ergebnis waren Charlotte und Karen wütend auf mich, weil Wut ein weit angenehmeres Gefühl ist als ein schlechtes Gewissen. Sie gaben mir zu verstehen, daß ich selbst die Schuld an meinem Schicksal trage, und sahen darin das Resultat von Nachlässigkeit und Schludrigkeit.
Charlotte fand, daß es an der Zeit sei, mir einen neuen Freund zu beschaffen. Das ging einerseits auf ihr kindisches Bedürfnis zurück, mir zu helfen, aber auch auf das nicht ganz so kindische, mich von Zeit zu Zeit aus dem Haus zu haben, damit sie freie Bahn für ihre Doktorspiele mit Simon hatte, oder was auch immer sie trieben.
»Du solltest Gus wirklich vergessen und versuchen, einen anderen kennenzulernen«, ermutigte sie mich eines Abends, als ich mit ihr allein zu Hause war.
»Das braucht Zeit«, antwortete ich.
Verwirrt dachte ich Eigentlich hätte sie das zu mir sagen müssen.
»Wenn du nicht ausgehst, lernst du nie jemand kennen«, sagte sie.
Außerdem hätte sie dann nie Gelegenheit, Simon auf dem Fußboden im Flur zu bumsen, doch verbot ihr der Anstand, das auszusprechen.
»Aber ich geh doch aus«, sagte ich. »Ich war Samstag abend bei ’ner Party.«
»Wir könnten ’ne Anzeige für dich aufgeben«, meinte Charlotte.
»Was für eine Anzeige?«
»Eine Bekanntschaftsanzeige.«
»Nein!« Der Vorschlag jagte mir Schauder über den Rükken. »Schon möglich, daß es mir nicht besonders gut geht, na ja, es geht mir tatsächlich nicht besonders gut, aber so tief werde ich hoffentlich nie sinken.«
»Das siehst du völlig falsch«, protestierte Charlotte. »Viele Leute tun das. Viele normale Menschen lernen auf diese Weise andere kennen.«
»Du bist total bekloppt«, sagte ich mit Nachdruck. »Ich bin nicht bereit, einen Fuß in die Welt von Singles-Bars oder Waschsalons zu setzen, ich will nichts mit Männern zu tun haben, die mir am Telefon sagen, sie sähen aus wie Keanu Reeves, und wenn man sie dann trifft, sehen sie eher aus wie Van Morrison, nur nicht so geschmackvoll gekleidet. Ich steh nicht auf Männer, die dir sagen, daß ihnen an einer gleichberechtigten und liebevollen Beziehung liegt, dich aber in Wirklichkeit zu Tode knüppeln und dir anschließend mit ’nem Brotmesser Sterne in den Bauch schnitzen wollen. Also schlag dir das aus dem Kopf.«
Charlotte fand meine Schilderung anscheinend zum Schreien komisch.
»Du siehst das völlig falsch«, sagte sie, wischte sich die Lachtränen aus den Augen und schnappte nach Luft. »Das war vielleicht früher mal so halbseiden, aber inzwischen ist das ganz anders...«
»Würdest du es denn machen?« setzte ich ihr die Pistole auf die Brust.
»Schwer zu sagen«, stotterte sie. »Ich meine, ich hab doch ’nen Freund...«
»Was mich an der Sache stört, ist sowieso nicht das Halbseidene«, sagte ich wütend, »sondern, daß man als einsamer Trauerkloß abgestempelt wird. Verstehst du nicht – wenn ich den Pfad der Einsamen Herzen beschreite, kann ich genausogut tot sein. Alle Hoffnung stirbt mit den letzten Resten der Selbstachtung dahin.«
»Sei nicht albern«, sagte sie, setzte sich aufrecht auf dem Sofa hin, griff nach Kugelschreiber und einem Blatt Papier. Es war die Rückseite der Speisekarte des China-Restaurants mit Heim-Service.
»Komm schon«, sagte sie munter. »Wir machen jetzt eine wunderbare Beschreibung von dir. Scharenweise werden sich tolle Männer bei dir melden, und du amüsierst dich königlich!«
»Nein!«
»Doch«, sagte sie freundlich, aber bestimmt. »Mal sehen, wie wollen wir dich beschreiben? ... Hm, wie wär’s mit ›klein‹? ... Nein, lieber nicht.«
»Bestimmt nicht«, stimmte ich zu, obwohl ich mich eigentlich nicht hatte beteiligen wollen. »Das klingt, als ob ich zwergwüchsig wäre.«
»›Zwergwüchsig‹ darf man nicht mehr sagen.«
»Dann eben ›in der Vertikalen benachteiligt‹.«
»Was soll denn das heißen?«
»Zwergwüchsig.«
»Kannst du
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