Lucy Sullivan wird heiraten
sagte Charlotte.
»Garantiert nicht.«
»Könnte doch sein.«
»Ich kann nicht glauben, daß du mir das antust, Charlotte«, sagte ich, nach wie vor fassungslos.
Ich konnte es wirklich nicht glauben – Charlotte hatte mich verraten. Ohne mir auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu sagen, hatte die dumme Kuh für mich eine Verabredung mit einem Kerl getroffen, den sie in irgendeinem Blatt für einsame Herzen aufgetan hatte, einem Amerikaner. Natürlich war ich fuchsteufelswild gewesen, als ich es erfahren hatte. Trotzdem hatte ich nicht so übertrieben reagiert wie Karen. Als sie von meiner »Verabredung« erfahren hatte, wie Charlotte nicht müde wurde es zu nennen, hatte sie Tränen gelacht und gerade so lange damit aufhören können, bis sie Daniel angerufen hatte, um ihm die Sache haarklein zu erzählen. Dann war sie wieder zwanzig Minuten lang nicht aus dem Lachen herausgekommen.
»Mein Gott, du scheinst ja wirklich auf dem letzten Loch zu pfeifen«, hatte sie gesagt, als sie auflegte und sich die Tränen abwischte.
»Das hat mit mir überhaupt nichts zu tun«, hatte ich entrüstet aufbegehrt, »und ich geh auch nicht hin.«
»Mußt du aber«, hatte Charlotte gesagt. »Es wäre nicht anständig ihm gegenüber.«
»Du bist ja nicht bei Trost«, hatte ich gesagt.
Daraufhin hatte sie mich stumm angesehen, während ihr Tränen in die großen blauen Augen traten.
»Entschuldige, Charlotte, das stimmt nicht«, hatte ich unbeholfen gesagt. Simon hatte ihr vor ein paar Tagen erklärt, daß er an ihrem Verstand zweifle, und ihr Chef tat das ziemlich oft, so daß Vorwürfe in dieser Richtung bei ihr empfindliche Reaktionen auslösten.
»Aber ich geh wirklich nicht mit ihm aus, Charlotte«, hatte ich geschnaubt, im Versuch, nicht nachzugeben, »egal, wie nett oder normal er klingt.«
»Ich wollte dir ja nur helfen«, schniefte sie, und Tränen traten ihr in die Augen. »Ich hatte geglaubt, es würde dich freuen, einen liebenswürdigen Mann kennenzulernen.«
»Weiß ich doch«, lenkte ich ein und legte schuldbewußt einen Arm um sie. »Weiß ich doch, Charlotte.«
»Sei bitte nicht wütend auf mich, Lucy«, schluchzte sie.
»Bin ich nicht«, sagte ich, und nahm sie in die Arme. »Nicht weinen, Charlotte, bitte.«
Obwohl es mir unerträglich war, jemanden weinen zu sehen – vielleicht von meiner Mutter abgesehen –, war ich wild entschlossen, nicht klein beizugeben, ganz gleich, was passierte. Und wenn Charlotte noch so sehr schluchzte – ich würde auf keinen Fall zu diesem Treffen mit Chuck gehen.
Ich gab doch klein bei und erklärte mich einverstanden, Chuck zu treffen. Ich bin nicht sicher, warum ich das tat, oder wie es dazu kam, aber ich tat es. Allerdings bewahrte ich mir einen kleinen Rest Selbstachtung, indem ich voll Bitterkeit über ihn herzog.
»Ich möchte wetten, daß er von vorn bis hinten unausstehlich ist«, versicherte ich Charlotte, während ich mich zum Ausgehen fertigmachte. »Wie seh ich aus?«
»Sag ich doch schon die ganze Zeit: hinreißend. Stimmt es nicht, Simon?«
»Was denn? Doch, doch, hinreißend«, pflichtete er ihr mit Nachdruck bei. Was ihn betraf, konnte ich gar nicht früh genug verschwinden, damit er mit Charlotte ins Bett kam.
»Vielleicht ist er ja nett, Lucy«, sagte sie.
»Er ist bestimmt abscheulich«, prophezeite ich düster.
»Das weiß man nie«, sagte Charlotte geheimnisvoll und drohte mir scherzhaft mit dem Finger. »Womöglich ist er der Mann deiner Träume.«
Zu meinem Entsetzen merkte ich, daß ich ihr insgeheim beipflichtete. Auf jeden Fall hoffte ich, daß sie recht hätte. Gewiß: denkbar war es, daß er nett war, die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Unter Umständen war er kein anal fixierter und über alle Maßen häßlicher Gefühlskrüppel, der hinging und Leute mit der Axt erschlug.
Hoffnung, das unbeständige Geschöpf, der verlorene Sohn der Gefühlswelt, gab in meinem Leben ein Gastspiel. Trotz der vielen Gelegenheiten, bei denen sie mich bisher enttäuscht hatte, beschloß ich, ihr dies eine Mal noch eine Chance zu geben.
Würde ich es je lernen? Ob ich wohl nach Enttäuschungen süchtig bin? überlegte ich im stillen.
Dann aber stieg Erregung in mir hoch: Und wenn er nun hinreißend war? Wenn er wie Gus war, nur eher normal, kein Nassauer wie Gus und ohne seine minimalistische Haltung dem Telefonieren gegenüber? Wäre das nicht wunderbar? Und, immer angenommen, er gefiele mir tatsächlich und es klappte mit uns, käme es
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