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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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sogar noch mit Mrs. Nolans Zeitangaben hin. Auch wenn ich nach Amerika flog, um seine Verwandten kennenzulernen, würde noch genug Zeit bleiben, um die Hochzeit innerhalb von sechs Monaten auf die Beine zu stellen.

46
    I ch hatte mich mit Chuck für acht Uhr vor einem jener phantasielosen Steakhäuser verabredet, die man in London an jeder Straßenecke findet und die die Bedürfnisse der Unmassen von Amerikanern befriedigen, die Jahr für Jahr in die Stadt einfallen. Einen Augenblick lang schwirrte mir der Kopf, weil ich kaum glauben konnte, daß ich mit einem Mann namens Chuck zum Abendessen gehen sollte.
    Er hatte gesagt, ich würde ihn an seinem marineblauen Regenmantel und einem Exemplar von Time Out erkennen. An seinem marineblauen Regenmantel und einem Exemplar von Time Out sollst du ihn erkennen!
    Da ich nicht die Absicht hatte, vor dem Restaurant herumzulungern und auf ihn zu warten – womit ich ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen wäre, wenn er sich auf den ersten Blick als Widerling erwies –, tat ich auf der anderen Straßenseite mit hochgeschlagenem Mantelkragen so, als wartete ich auf einen Bus. Dabei ließ ich den Eingang nicht aus dem Auge.
    Ich hatte richtig Lampenfieber, denn trotz meiner festen Überzeugung, daß er ein ausgemachtes Ekel war, konnte er sich doch als nett herausstellen, auch wenn die Hoffnung darauf nur gering war.
    Um fünf vor acht tauchte er auf, mit marineblauem Regenmantel und einem Exemplar von Time Out. Alles wie besprochen.
    Von meinem Beobachtungsposten aus kam mir alles einwandfrei vor. Jedenfalls sah der Mann ziemlich normal aus: Entstellungen waren nicht erkennbar, er hatte nur einen Kopf und auch sonst keine zusätzliche Körperteile, auch schienen, soweit sich das auf den ersten Blick sagen ließ, keine zu fehlen. Über seine Zehen oder seinen Penis ließ sich nach so kurzer Bekanntschaft naturgemäß nichts sagen.
    Ich überquerte die Straße, um ihn mir näher anzusehen.
    Wirklich nicht schlecht. Man konnte ihn sogar als gutaussehend bezeichnen. Mittelgroß, gebräunt, dunkles Haar, dunkle Augen, gut geformtes kräftiges Gesicht. Etwas an ihm erinnerte mich an jemanden... an wen nur? Es würde mir schon wieder einfallen.
    Ich schöpfte neue Hoffnung. Zwar sah er keinem der Männer ähnlich, mit denen ich sonst ausgegangen war, aber da es mit keinem von denen wirklich geklappt hatte, war das unerheblich. Nichts sprach dagegen, mal einen neuen Typ auszuprobieren.
    Wer weiß, Charlotte, vielleicht muß ich dir noch dankbar sein, dachte ich.
    Inzwischen hatte er mich gesehen und erkannt, daß ich das gleiche Exemplar von Time Out dabeihatte wie er. Er sagte etwas. Keine Speicheltröpfchen landeten auf meinem Gesicht. Ein gutes Zeichen.
    »Sie müssen Lucy sein«, sagte er. Null Punkte für Originalität minus mehrere Millionen für die lappige karierte Golfhose  – typisch Amerikaner –, dafür zehn von zehn, weil er keine Hasenscharte hatte und auch nicht stotterte oder sabberte. Jedenfalls noch nicht.
    »Und Sie sind wohl Chuck?« fragte ich, womit ich selbst auch nicht unbedingt für neuen Gesprächsstoff sorgte.
    »Chuck Thaddeus Mullerbraun der Zweite aus Redridge in Tucson, Arizona«, sagte er mit breitem Grinsen. Er streckte mir seine Hand entgegen und schüttelte die meine so kräftig, daß es weh tat.
    Oh, oh, dachte ich.
    Aber ich riß mich zusammen. Es war nicht seine Schuld – so sind Amerikaner nun mal. Ganz gleich, was man sie fragt, ob »Gibt es einen Gott?« oder »Können Sie mir bitte das Salz reichen?«  – als erstes teilen sie einem ihren vollständigen Namen und ihre Adresse mit. Als hätten sie Angst, daß sie einfach verschwinden würden, wenn sie sich nicht ständig daran erinnerten, wer sie sind und woher sie kommen.
    Ich fand das wirklich ein bißchen komisch. Wenn mich nun jemand auf der Straße anhielte und mich nach der Uhrzeit fragte, und ich zur Antwort gäbe: »Lucy Carmel Sullivan die Erste, aus dem obersten Stock des Hauses 43 D Basset Crescent, Ladbroke Grove, London, W10, England, tut mir leid, ich hab keine Uhr dabei, aber es dürfte ungefähr Viertel nach eins sein.«
    Die Amerikaner haben einfach andere Gebräuche, mahnte ich mich, so wie die Spanier um zwei Uhr nachts zu Abend essen. Also sollte ich diesem Abgesandten einer anderen Kultur vorurteilsfrei begegnen. Vive la différence!
    Lucy Mullerbraun? Lucy Lavan hätte mir eigentlich besser gefallen, aber es war sinnlos, ausgerechnet jetzt diesen Gedanken

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