Lucy Sullivan wird heiraten
keine Wahl blieb. Ich hatte einen Mann gern gehabt und hatte Angst, er werde davonlaufen und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, wenn ich seinem Drängen nicht nachgab. Hätte Gus auf Sex bestanden, hätte ich mich wahrscheinlich nicht gesträubt. Aber es war mir weit lieber, daß er es nicht gewollt hatte.
»Du und dein katholischer Schuldkomplex«, sagte Dennis und schüttelte traurig den Kopf. Ich mußte ihm in die Parade fahren, bevor er die katholische Kirche, die Nonnen und die christlichen Bruderschaften attackierte und sich darüber ausließ, welchen Schaden sie der Seele eines jeden Jungen oder Mädchens zufügten, die mit ihnen in Berührung kamen – weil sie es ihnen bis in alle Zukunft unmöglich machten, Sinnenfreuden zu genießen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Darüber hätten wir dann die ganze Nacht geredet.
»Nein, Dennis, nicht mein katholischer Schuldkomplex hindert mich daran, einen Haufen Männer zu haben.«
Hätte ich große schwere Brüste und lange, schlanke, gebräunte cellulitefreie Oberschenkel gehabt, wäre ich vermutlich imstande gewesen, mich über meinen katholischen Schuldkomplex hinwegzusetzen. Wahrscheinlich wäre ich dann viel eher voll Zuversicht mit einem mir völlig Unbekannten ins Bett gegangen. Vielleicht wäre Sex dann etwas gewesen, was ich einfach genießen konnte und keine Übung in Schadensbegrenzung, wobei ich mir Mühe gab, so zu tun, als genösse ich das Ganze, während ich gleichzeitig bestrebt war, meinen Hintern verstecken zu müssen, der zu groß war, meinen Busen, der zu klein war, meine Oberschenkel, die... nun ja, ... usw. usw.
»Solange du deiner Sache sicher bist«, sagte Dennis. Es klang immer noch eher zweifelnd.
»Bin ich.«
»Na schön.«
»Was hältst du jetzt von ihm, alles in allem?« fragte ich fröhlich. »Klingt es nicht gut?«
»Ich weiß nicht recht, ob er das ist, worauf ich erpicht wäre.«
Meine Lippen formten den Namen Michael Flatley.
»... aber er scheint ganz okay zu sein«, beeilte er sich hinzuzufügen. »Und wenn du dir schon unbedingt mittellose Männer aussuchen mußt, dann hoffe ich, daß du weißt, was du tust. Ich würde das nicht empfehlen, aber da rede ich ja gegen eine Wand.«
»Ist es nicht erstaunlich, was die Wahrsagerin gesagt hat?« versuchte ich ihn auf den Weg des Positiven zurückzudrängen.
»Ich muß zugeben, daß es zeitlich genau hinhaut. Das hat sicher was zu bedeuten. Normalerweise würde ich zur Vorsicht raten, aber das scheint von den Sternen vorherbestimmt zu sein.« Genau das hatte ich hören wollen.
»Und ist er, vom Geld abgesehen, anständig zu dir?« fragte Dennis.
»Unbedingt.«
»In Ordnung. Ich werde ihn mir ansehen müssen, bevor ich ihn rückhaltlos gut finden kann, aber meinen vorläufigen Segen hast du.«
»Danke.«
»Gut. Es ist halb eins, ich muß los.«
»Heißt das, du nimmst jetzt Poppers und tanzt im Holzfällerhemd zur Musik der Pet Shop Boys?«
»Großer Gott, Lucy«, sagte er angewidert. »Das sind ja grauenhafte Klischees.«
»Aber tust du’s?«
»Ja.«
»Dann viel Spaß. Ich geh ins Bett.« Glücklich schlief ich ein.
30
N atürlich zeigte sich die Angelegenheit in einem völlig anderen Licht, als ich beim Aufwachen am nächsten Morgen begriff, daß ich aufstehen und zur Arbeit mußte.
Am liebsten hätte ich mich versteckt. Aber es war nun mal Montag, und den lebenslänglich eingeübten Trott ändert man nicht so ohne weiteres. Daß ich einen neuen Typen kennengelernt hatte, auch wenn er so wunderbar war wie Gus, machte aus mir nicht über Nacht eine neue Frau, die, ein munteres Lied auf den Lippen, aus dem Bett sprang, noch bevor der Wecker klingelte.
Ich tappte im Dunkeln herum, bis ich den Knopf fand, der mir weitere fünf Minuten schuldbewußten Dahindämmerns bescherte. Ich hätte alles gegeben, um nicht aufstehen zu müssen. Alles.
Das Badezimmer war besetzt. Wie schön. Solange es nicht frei war, hatte es keinen Sinn aufzustehen.
Diese kurze Gnadenfrist gab mir Zeit, während ich im Halbschlaf im Bett lag, träge verschiedene Selbstmordmöglichkeiten zu erwägen. Was verständlicherweise weit verlokkender war, als mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren.
Mit dem Gedanken an Selbstmord hatte ich morgens schon öfter gespielt – eigentlich an den meisten Tagen, an denen ich zur Arbeit mußte – und längst erkannt, wie unvorteilhaft moderne Wohnungen dafür eingerichtet sind. Nirgendwo gab es giftige Flüssigkeiten in
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