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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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können wir nicht bleiben«, sagte Lucy. »Wir müssen flussabwärts gehen. Es gibt an dieser Uferseite einen Anlegeplatz, noch vor Lisala.« Sie wandte sich Richtung Westen und lief den Fluss entlang weiter, stets in respektvollem Abstand |19| zu den Krokodilen. Jenny folgte ihr in den schimmernden Nachmittag hinein.
    Als sie den Anlegeplatz erreichten, stand die Sonne schon tief. Ein einfacher hölzerner Pier ragte aus dem Urwald in den langsam dahinfließenden Strom hinein. Dort ließen Lucy und Jenny sich nieder, aßen etwas und sahen auf den Fluss hinaus. Plötzlich schien sich Lucys Körper zu versteifen. Sie hob das Kinn.
    »Schnell, wir müssen in den Wald.«
    »Warum?«, fragte Jenny.
    »Es kommt jemand.«
    Jenny hatte nichts gehört, doch sie sammelten rasch ihre Früchte ein und zogen sich in das Dunkel zurück. Von ihrem Versteck aus konnten sie den Fluss überblicken. Eine halbe Stunde verging, ehe Jenny fragte: »Woher willst du wissen, dass jemand kommt?«
    Noch ehe Lucy antworten konnte, hörte auch Jenny den Motor. Dann kam ein grauer Stahlkutter ins Blickfeld, mit an Deck montierten 4 0-mm -Geschützen. Das Schiff lag tief im Wasser, überfrachtet mit Männern, die mit Kalaschnikows und Panzerfäusten bewaffnet waren. Lucy und Jenny wagten kaum zu atmen, als das Boot vorbeituckerte und eine Fahne von Dieselrauch hinter sich herzog, die schwer über dem glänzend schwarzen Fluss hing.
    In der Nacht schliefen sie wieder im Urwald und mussten einen Ameisenschwarm abwehren, der sich über sie hermachen wollte. Den ganzen folgenden Tag beobachteten sie den Fluss. Mittags sahen sie zwei aufgedunsene schwarze Leichen mit dem Gesicht nach unten vorübertreiben. Auf einer saß ein schwarz glänzender Rabe. Sie mussten noch eine weitere Nacht dort verbringen. Erst am Morgen darauf kam schließlich eine Familie in einem Holzboot, ein Mann, zwei Frauen |20| und ein kleines Kind, vorbei und nahm sie mit. Lucy kannte sie und unterhielt sich auf Lingala mit ihnen.
    Sie waren kaum an Bord gegangen, da schlief Jenny auch schon auf einer Ladung würzigen Getreides in Leinensäcken ein. Als sie aufwachte, war es bereits später Nachmittag. Erst jetzt merkte sie, wie sehr die Anstrengungen der letzten Tage sie mitgenommen hatten, wie angespannt sie gewesen war.
    Bei Sonnenuntergang erreichten sie ein kleines Dorf. Es war eine armselige Ansammlung von Hütten und Abfallhaufen in Ufernähe, mit frei herumlaufenden Schweinen und Hühnern und mit nackten Kindern, die sich hinter ihren Müttern versteckten, als Jenny und Lucy auftauchten. Ganze Schwärme von Kriebelmücken hingen in den wehenden Rauchschwaden der Kochfeuer. Lucy sprach mit einem Mann auf Lingala, und er führte sie zu einer Hütte am Rande des Urwalds. Aus dieser Hütte heraus verlief ein Kabel auf einen grob gezimmerten Holzturm hinauf, an dessen Spitze eine Metallantenne wie ein gekrümmter Finger gen Himmel wies.
    Jenny folgte Lucy und dem Mann in die Hütte. Sie hörte dem Geplauder der beiden zu, verstand aber nicht mehr als ein paar Satzfetzen. Der Mann, dem das Funkgerät gehörte, war alt und verschrumpelt wie eine Nuss. Er trug ein Rolling-Stones-Shirt und Surfershorts. Der Hüttenboden war übersät mit Bierdosen, und in dem Raum stank es nach Urin und abgestandenem Zigarettenrauch. Der alte Mann hieß Denis, und wenn er lächelte, sah man, dass er nur noch einige wenige Zähne im Mund hatte. Mittlerweile drängten auch die Leute aus dem Dorf in die Hütte, um zu sehen, was vor sich ging.
    Jetzt sprach Lucy Französisch mit Denis und gab Jenny ein Zeichen. »Er spricht Französisch«, sagte sie.
    »Wie viele Sprachen sprichst du denn?«, fragte Jenny.
    »Oh, nicht viele. Französisch und Lingala. Englisch natürlich. |21| Italienisch und Spanisch. Ein wenig Deutsch. Niederländisch.« Lucy lachte. »Na, Niederländisch ist ja auch einfach.« Dann wirkte sie plötzlich verlegen und hielt inne.
    Jenny sagte Denis auf Französisch, dass sie dringend mit David Meece, einem Diplomaten der britischen Botschaft in Kinshasa, sprechen müsse.
    Denis setzte sich vors Funkgerät, sagte zuerst etwas auf Lingala und unterhielt sich dann mit jemand anderem auf Französisch, wobei er eine Marlboro rauchte und immer wieder an einer Dose Bud Light nippte. Sein Atem ging keuchend. Während er darauf wartete, dass jemand David Meece an den Apparat holte, trank er sein Bier aus und warf die Dose scheppernd auf den Boden. Schließlich drang die Stimme eines Mannes aus

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