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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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erleichtert auf und setzte ihren Weg fort. Dieser verdammte Donald Stone, dachte sie. Warum hatte der verflucht noch mal kein Funkgerät mehr. In den ersten paar Jahren hatte sie mit ihm in Funkkontakt gestanden. Und obwohl sie ihn selten sah, war er doch ganz liebenswürdig gewesen bei ihren gelegentlichen Plaudereien, die stets damit endeten, dass Donald Stone sagte, ja, er werde ganz bestimmt bald einmal zum Tee zu ihr kommen. Doch er kam nie. Und dann hatte er einfach aufgehört, auf ihre Funkrufe zu antworten.
    Wieder flog zischend eine Granate durch die Luft und explodierte, und diesmal hörte Jenny die Splitter durch das Laub und die Äste über sich prasseln. Jetzt rannte sie, so schnell sie nur konnte.
    Eine halbe Stunde später trat Jenny keuchend auf die Lichtung, auf der Donald Stones Hütte stand. Sie erstarrte. Es war kein Geräusch zu hören, nur das Summen der Fliegen. Die Anzeichen waren unübersehbar: Die Rebellen waren bereits hier gewesen. Auf den Treibstofftank, der noch auf seinen metallenen Stelzen stand, war geschossen worden, und stinkendes Kerosin sickerte in den Erdboden. Stones Sachen lagen verstreut herum. Aufgeschlagene Bücher. Shakespeare. Blake. Milton. Mary Shelley. Melville. Mathe- und Physiklehrbücher fürs College. Das kam Jenny seltsam vor. Dann erinnerte sie sich an die Tochter. Aber gab es überhaupt eine Tochter? Das war doch nur ein Gerücht. Sie hatte hier nie ein Kind gesehen.
    Vorsichtig näherte sie sich der Hütte. Die Tür hing nur noch lose in den Angeln und schabte über den Boden, als Jenny sie öffnete und in die Dunkelheit hineinspähte. Sie konnte die |11| Reste von Schießpulver riechen und den durchdringenden Gestank einer Latrine. Sie griff nach der Taschenlampe, schaltete sie ein und ließ den Lichtkegel durch den Raum wandern.
    Sie hatten ihn in der Tür erschossen, und er war rücklings wieder in die Hütte hineingefallen. Jenny musste ihn nicht mehr berühren, um sich zu vergewissern, dass er tot war. Sein zertrümmerter Schädel lag in einer Blutlache. Die wenigen Dinge, die sie nicht mitgenommen hatten, waren zertreten von Sandalen, Stiefeln, nackten Füßen. Kleine orangefarbene Notizbücher waren aus den Wandborden gerissen worden. Ein Klapptisch lag umgestürzt da, mit von einem Stiefeltritt zerbrochener Platte.
    Renn weg, dachte Jenny, jetzt sofort. Geh sofort, geh an den Fluss. Du kannst nichts mehr für ihn tun. Doch sie stand nur da, starrte den britischen Forscher an und dachte: Es hätte genauso gut mich treffen können.
    Als sie über die Trümmer hinwegstieg, entdeckte sie einen Vorhang, der die Hütte unterteilte. Sie schob ihn zur Seite. Und dort auf dem Boden sah sie zwei weitere Leichen, ein Mädchen im Teenageralter, nackt, und einen Bonobo. Der Kopf des Mädchens lag auf der Brust des Bonobos, als wäre sie bei dem Versuch gestorben, das Tier zu beschützen. Dann wurde Jenny schlagartig klar, dass die Rebellen das Mädchen vergewaltigt haben mussten, ehe sie es töteten. Das taten sie immer.
    »Oh nein   …«
    Jenny hatte die Worte kaum ausgestoßen, da hob das Mädchen den Kopf und sah sie an. Jenny erschrak so, dass sie aufschrie und nach Luft rang. Das Mädchen war klein, und ihr langes dunkles Haar stand ihr in dicken wilden Locken vom Kopf ab. Ihre glatte bräunliche Haut war blutverschmiert und |12| übersät mit Kratzern. Die feinen Züge ihres Gesichts waren mit Schmutz bedeckt. Sie sieht seltsam exotisch aus, dachte Jenny, ohne dass sie genau hätte sagen können, warum. Das Mädchen sah Jenny nur an mit ihren eindringlichen dunkelgrünen Augen.
    »Bist du verletzt?«, fragte Jenny schließlich. »Haben sie dir etwas getan?«
    Das Mädchen legte den Kopf wieder auf die Brust des toten Bonobos und begann laut schluchzend zu weinen.
    »Bist du Dr.   Stones Tochter? Wo ist deine Mutter?«
    Das Mädchen weinte immer weiter, beide Hände auf den offenen Mund gepresst. Jenny ging zu ihr hinüber, kniete sich neben sie und nahm sie in den Arm.
    »Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Aber wir müssen fort. Hier ist es nicht sicher.« Jenny stand auf und ging noch einmal durch die Hütte, um zu sehen, ob die Leiche der Mutter irgendwo verdeckt lag. Aber sie fand kein Anzeichen von ihr. Dann begann sie, die orangefarbenen Notizbücher in Donald Stones Rucksack zu packen. Es war alles, was er hinterlassen hatte. »Zieh dir etwas an«, sagte sie zu dem Mädchen. »Pack ein, was du brauchst. Schnell. Wir werden nicht mehr zurückkommen.«

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