Lügenbeichte
kapierte.
»Und wohin?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich zur Schaunmann-Party. Das habe ich doch schon gesagt.« Josi seufzte, sah, wie Thomas immer noch in den Garten starrte und seine Kiefer zuckten. Er machte den Eindruck, als wäre er weit, weit weg.
»War Frau Sander auf der Party?«
Thomas reagierte nicht.
»Herr Herzberg, ich habe Sie was gefragt!«
»Keine Ahnung«, sagte Thomas leise. »Ich habe sie nicht gesehen.«
Herr Werner sah zu Marina. Sie zuckte die Schultern. »Ich kenne diese Person doch gar nicht!«
»Kann ich die Fotos noch mal sehen?«, fragte Josi.Herr Werner streckte ihr sein Smartphone entgegen. Sie vermied, seine Finger zu berühren. Das Telefon war eklig warm. Sie sah noch mal auf das Display, zögerte. »Vielleicht war sie es aber auch gar nicht.«
»Wie bitte?« Im Nu schnellte Herr Werners Kopf wieder hoch. Sie gab ihm das Telefon zurück.
»Du warst doch eben ganz sicher, dass sie es war!«
»Nein, war ich nicht!«, fauchte sie ihn an. »Mir fiel nur plötzlich wieder ein, dass da diese junge Frau war, der ich einen Regenmantel geliehen habe …« Ihr Herz fing an zu rasen. Dann liefen ihr Tränen über die Wangen, sie schluckte.
»Den Regenmantel von Frau Herzberg …«, fuhr Herr Werner ungerührt fort.
»Hören Sie«, schnauzte Thomas ihn an. »Lassen Sie uns doch bitte mit dieser Geschichte in Ruhe!« An seinen Schläfen traten Adern hervor. »Meine Tochter ist völlig runter mit den Nerven. Nehmen Sie doch ein bisschen Rücksicht. Immerhin ist ihr Bruder seit gestern Abend verschwunden! Nicht nur, dass Sie uns wegen eines toten Mädchens löchern, Sie unternehmen auch nichts, um meinen Sohn wiederzufinden – ganz zu schweigen von Ihrem fehlenden Taktgefühl!« Thomas' Kopf war knallrot. Er hatte sich in Rage geredet, so was kannte Josi gar nicht von ihm.
»Sie haben wohl keine Kinder, was?«, schrie Papa nun. Josi hatte ihn noch nie so außer Kontrolle gesehen.
»Nein«, sagte Herr Werner ganz ruhig und streifte Josi mit seinem Blick. »Gott sei Dank habe ich keineKinder.« Dann klingelte sein Handy. »Ja?«, schnauzte er in den Apparat.
Josi konnte eine Männerstimme hören, aber nichts verstehen. Herr Werner nickte geheimnisvoll und behielt Thomas, Marina und Josi im Auge. Er sagte noch ein paarmal »Ja« und: »Simsen Sie es mir sofort rüber!« Dann legte er auf.
»Sie haben ein Spielzeug gefunden«, sagte er in überraschend weichem Ton. »Einen kleinen roten Roboter. Hatte der Junge so was?«
»Herr Rufus!«, platzte es aus Josi heraus. »Wo denn?«
Gib mir noch eine. Bitte, bitte, nur noch eine! Ich war doch lieb!
16:11
Herr Rufus hatte im Rinnstein gelegen, an der Luisenstraße, schräg gegenüber vom Trampelpfad, in der Einfahrt von Herrn Dittfurth. Herr Dittfurth war ein rüstiger Rentner, der allein in einer Jugendstilvilla wohnte, einen alten Mercedes hatte und ihn immer in der Einfahrt parkte, um ihn dort zu polieren. Herrn Dittfurth kannte jeder, er grüßte nett und war auch zu Lou immer freundlich, wenn sie an seinem Haus und dem Mercedes vorbeikamen. Lou durfte sich sogar schon mal in sein Auto setzen. Lenkrad und Armaturenbrett waren aus Walnussholz und die Polster aus cremefarbenem Leder. Lou interessierte aber mehr, wie schnell er fahren konnte, und war erstaunt, wie langsam die Kiste war, im Vergleich zu Marinas Schlitten oder Thomas' BMW. Herr Dittfurth hatte eine Glatze, die genauso glänzte wie sein Auto. Anhand von Herrn Dittfurths Glatze hatte Josi Lou mal erklärt, dass Männern, wenn sie älter wurden, die Haare ausfielen. Lou hatte das erst für einen Scherz gehalten, aber dann wurde er nachdenklich und wollte wissen, ob er später auch mal eine Glatze bekommen würde.
»Glaube ich nicht, du hast das kräftige Haar von Papa geerbt«, hatte Josi gesagt. »Und Thomas ist kein Typ für eine Glatze.«
»Warum?«
»Na weil er dann jetzt schon Haarausfall hätte.«
»Was ist Haarausfall?«
»Na, da fallen einem eben die Haare aus.«
»Einfach so?«
»Ja.«
»Und dann hat man eine Glatte?«
»Glatze, Lou.«
Er hatte an seinen Haaren gezogen und geprüft, ob er auch Haarausfall hätte. Josi beruhigte ihn.
»Kriegen Frauen auch eine Glatze?«
»Nein.«
»Dann möchte ich lieber eine Frau sein.«
»Wirklich? Wärst du lieber ein Mädchen?«
Lou hatte daraufhin den Kopf geschüttelt und seine kleine Hand in Josis geschoben. Das war letzten Sommer gewesen, Josi konnte sich noch genau daran erinnern.
Was hatte Herr Dittfurth mit
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