Luegenbeichte
Lieblingsplatz, am Kamin. Von hier aus hatte man alles im Blick. Sie hätte sich jetzt nicht zu Marina und Thomas aufs Sofa setzen können. Die Spannung zwischen ihnen konnte man bestimmt messen. Die beiden saßen auch nur in einem Raum, weil die Polizeipsychologin, die jeden Moment kommen konnte, durch Herrn Werner hatte mitteilen lassen, dass Lou im Kreise seiner Familie, also in einem vertrauten Umfeld, sein sollte.
Marina hatte sich Lou auf den Schoß gezogen. Thomas saß ihnen gegenüber, auf dem anderen Sofa. Marina schlang die Arme um Lou.
»Du erdrückst ihn ja fast«, sagte Thomas.
»Quatsch«, fauchte Marina und flüsterte Lou ins Ohr. »Mama hält dich nicht zu fest, nicht wahr, Bärchen?«
»Doch«, sagte Lou. Immer wenn sich seine Eltern stritten, war er auf Thomas' Seite.
Marina lockerte ihren Griff. Lou rutschte von ihrem Schoß und lief zu Josi.
»Ich will in den Garten. Kommst du mit?«
»Nein«, sagte Marina, »jetzt warte mal, bis der Besuch da ist. Setz dich bitte wieder hin.«
Thomas stand auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging zur Terrassentür. »Du übertreibst, Marina, der Junge muss doch nicht still auf dem Sofa sitzen.«
»Sei du bloß ruhig«, zischte sie.
Dann hämmerte es gegen die Haustür. – Herr Werner – unüberhörbar! Seitdem Thomas die Klingel abgestellt hatte, wusste er sich mit seinen Krücken zu helfen.
»Da sind sie!« Marina öffnete.
15:02
Neben Herrn Werner stand eine ältere Frau in einer weiten, orangefarbenen Leinenhose, Leder-Flip-Flops, einer weißen Bluse und mit einer großen, bunten Kette um den Hals. Sie kamen ins Wohnzimmer. Herr Werner, wie immer in seiner Strickjacke, stellte sie vor: »Frau Bruchhusen – Herr und Frau Herzberg und die Tochter des Hauses, Josefine.«
Josi gab Frau Bruchhusen die Hand. Sie lächelte. Tochter des Hauses, wie hörte sich das denn an?
Herr Werner wandte sich Lou zu: »Wir kennen uns ja schon, Sportsfreund.« – Fehlte nur noch, dass er Lou den Kopf tätschelte, aber er hatte ja keine Hand frei, wegen der Krücken. Er beugte sich zu Lou herab. Josi sah, wie sehr er wieder schwitzte.
»Guck mal, ich habe noch eine gute Freundin mitgebracht. Die Angela«, sagte er in verstelltem, hohem Ton und zeigte mit einer Krücke auf Frau Bruchhusen. Lou blieb hinter Josis Bein und schaute ihn misstrauisch an.
»Sie können ganz normal mit ihm reden«, sagte Josi.
Herr Werner kniff die Lippen zusammen.
»Sollen wir nicht doch lieber rausgehen?«, fragte Thomas.
»Ich lass meinen Sohn doch jetzt nicht allein«, fuhr Marina ihn an.
Thomas schaute sie böse an. Marina schaute böse zurück. Die Kinderpsychologin sagte: »Ach, ist das heute wieder herrliches Wetter, nicht wahr?« Niemand rührte sich.
»Ich will raus«, sagte Lou.
»So? Wo willst du denn hin?«, fragte Frau Bruchhusen.
»In den Garten.«
»Na, dann lass uns doch in den Garten gehen.« Die Frau nickte Marina aufmunternd zu.
»Josi soll mitkommen!«
»Klar kann Josi mitkommen.«
Josi entging nicht, wie die Psychologin Marina und Thomas die ganze Zeit musterte. Wahrscheinlich hatte Herr Werner ihr längst erzählt, dass der Herr Professor seine Frau betrog.
Herr Werner ächzte mit den Krücken bis zum Sofa und ließ sich ins Polster plumpsen. »Ich muss noch kurz ein paar Telefonate erledigen und dann habe ich noch was Wichtiges mit Ihnen zu besprechen, Herr Herzberg.« Es klang wie eine Drohung.
»Ich wüsste nicht, was das sein sollte«, erwiderte Thomas. Der trotzige Unterton entging Josi nicht. Herr Werner erwiderte nichts, lehnte sich genüsslich zurück, als wollte er Thomas ein bisschen zappeln lassen. Echt bescheuert, diese Machtspielchen.
Josi und Lou gingen mit Frau Bruchhusen auf die Terrasse. Lou sprang die Stufen zum Rasen herunter und kugelte sich durchs Gras. Thomas rückte die Stühle zurecht.
»Das sieht witzig aus«, rief Frau Bruchhusen Lou zu.
»Guck mal, ich kann auch schon ein Rad.« Sein Rad sah allerdings eher aus wie ein seitlicher Froschhüpfer.
»Toll!«, rief sie noch einmal. Wollte sie sich etwa bei Lou einschleimen, um sein Vertrauen zu gewinnen? Das kam Josi etwas billig vor für eine Polizeipsychologin.
Marina brachte ein Tablett mit einer Karaffe Limettensaft und Gläsern nach draußen. Josi sah Herrn Werner durch die Scheibe, wie er seinen verschlissenen Tabaksbeutel aus der Strickjacke zog und anfing, sich eine Zigarette zu drehen. Armes Schwein, dachte Josi. Warum kaufte er sich eigentlich kein
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