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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Lernen helfen? Wie wollen die mich aufs College vorbereiten? Bei denen heißen Jeans noch »Nietenhosen«. Sie haben wirklich null Ahnung.
    Sie reden, als würde ich sowieso nichts aufs College gehen. Sie denken, ich bin nicht schlau genug.
    Aber ich weiß, dass ich es bin. Meine Lieblingslehrerin Yayeko Shoji sagt das auch.
    »Hier oben bei uns wird es dir viel besser gehen, Micah.«
    Das sagen sie auch immer. Aber es stimmt nicht. Sie glauben, dass ich aufs Land gehöre, dass ich den Wald im Blut habe. Aber ich bin eine Stadtpflanze: Abwasserkanäle, Ratten, U-Bahnen – das liegt mir im Blut.

SCHULGESCHICHTE
    Unsere Schule ist fortschrittlich.Wir nennen unsere Lehrer beim Vornamen. Kein Mister oder Misses oder so. Sie heißen einfach Indira und Yayeko und Lisa. Alles dreht sich ums Verstehen und Lernen und darum, die Schüler zu ermuntern, dass sie »alles aus sich herausholen«. Sport ist eher nicht so wichtig. Es gibt schon Schulmannschaften, aber keine speziellen Trainer, nur Lehrer, die das übernehmen, weil sie einfach gerne Basketball oder Fußball oder Softball spielen.
    Nicht alle unsere Fächer sind normale Schulfächer.
    Wir werden nicht gezielt auf die standardisierten SAT-Aufnahmetests fürs College vorbereitet.
    Aber wir kriegen letztlich doch Plätze an guten Colleges. Auch wenn unsere Tests nicht so toll ausfallen. Dafür schätzt man unsere »Tiefe und Breite«.
    Und unsere Integration.
    Wir sind unabhängige Denker. Wir bringen uns ein. Wir diskriminieren andere nicht. Wir recyceln und kümmern uns und diskutieren über Politik.
    Zumindest im Unterricht.
    Außerhalb des Unterrichts ist es hier wie an jeder anderen Schule auch. Außer was das Geld angeht. Und es gibt hier Klos, die funktionieren, und eine Heizung, die nicht ständig ausfällt.Wir haben alle Bücher, die wir brauchen. Auch Computer. Gitterstäbe vor den Fenstern sorgen
dafür, dass das Böse draußen bleibt.
    Echte Wissenschaftler kommen zu uns in den Biologieunterricht und echte Schriftsteller halten im Englischunterricht Vorträge.
    Unsere Schule kümmert sich um uns.

VORHER
    Meine ersten zwei Wochen als Freshman waren ziemlich schlimm. Echt schlimm. Nach Sarah Washington und der Bananenschale wussten alle, wer ich war: das Mädchen, das vorgegeben hatte, ein Junge zu sein.
    So viel zum Thema unsichtbar.
    Ich wurde ins Büro von Direktor Paul gerufen und gezwungen, die Geschichte zu erklären.
    »Meine Englischlehrerin hat mich für einen Jungen gehalten«, sagte ich. »Ich fand es einfach witzig, da mitzuspielen. «
    Er meinte nur, das sei es nun ganz gewiss nicht. Dann hielt er mir einen Vortrag über die Gefahr von Lügen und das Untergraben von Vertrauen und Blabla. Ich blendete ihn aus, versprach mich zu bessern und schrieb einen Aufsatz zum Thema »Warum Lügen schlecht ist«.
    »Und wieso heißt du eigentlich Micah?«, fragte mich Tayshawn. Er war der Einzige, der es genau wie ich witzig fand, dass ich so getan hatte, als wäre ich ein Junge. Er fragte mich sogar noch einmal, ob ich mit ihm Ball spielen
würde. Will war weniger glücklich damit und Zach beachtete mich gar nicht. Ich bin nicht hingegangen. Später habe ich allerdings noch ein paarmal mit Tayshawn alleine gespielt.
    »Das ist auch ein Mädchenname«, erklärte ich ihm. »Nur nicht so gebräuchlich.«
    »Als hätten deine Eltern schon geahnt, dass du aussehen würdest wie ein Junge.«
    »Na ja«, sagte ich und hielt dann inne. Ich spürte das Kribbeln, das mich immer überfällt, wenn ich mir eine Lügengeschichte ausdenke. »Du darfst es aber keinem erzählen, ja?«
    Tayshawn nickte und beugte sich gespannt zu mir.
    »Als ich geboren wurde, wussten sie nicht genau, ob ich ein Mädchen bin oder ein Junge.«
    Tayshawn sah verwirrt aus. »Wie meinst du das denn?«
    »Sie konnten nicht sicher feststellen, was ich war. Ich wurde als Hermaphrodit geboren.«
    »Als was?«
    »Halb Junge und halb Mädchen. Das kannst du nachschlagen. «
    »Niemals.« Seine Augen glitten über meinen Körper und suchten nach Beweisen.
    Ich nickte ernst und überlegte, wie ich die Geschichte weiterspinnen sollte. »Ich sah komisch aus als Baby.« (Was durchaus der Wahrheit entspricht. Ich durchwirke meine Lügen gerne mit wahren Elementen.) »Meine Eltern sind total ausgeflippt.« (Stimmte ebenfalls.) »Aber du sagst es keinem, ja? Du hast es versprochen.« Meiner Erfahrung nach waren es genau diese Worte, die sicher dafür sorgten, dass sich das, was man gesagt hatte, wie ein

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