Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
Weißt du, Magdalena, es gibt heutzutage nicht
mehr viele Menschen, die ihr Leben in wahrer Gottesfurcht verbringen. Vielmehr
herrschen da draußen das Laster und die Sünde.“
„War dein Klavierlehrer zufrieden
mit dir?“, griff ihre Mutter das Thema Musikunterricht wieder auf.
„Ja. Ja, ganz bestimmt“, beeilte
sich Magdalena zu sagen, „wir haben heute mit einem neuen Stück angefangen. Von
Johann Sebastian Bach. Es ist ... sehr schön.“
„Wahrlich, ich muss schon sagen“,
ließ sich ihr Vater, der soeben dabei war, eine Flasche Rotwein zu entkorken,
vernehmen, „dein Musiklehrer ... wie heißt er noch gleich?“
„Raffael Winter“, half ihm seine
Frau kopfschüttelnd auf die Sprünge. „Dass du dir aber auch nie seinen Namen
merken kannst!“
„Raffael Winter. Ja,
tatsächlich“, erwiderte ihr Mann, „das ist eigentlich ein Name, den man sich
gut merken kann. Raffael. Wie der Erzengel. Da haben wir eine gute Wahl getroffen.“
Er nippte genüsslich an seinem Wein, dann fügte er hinzu: „Pastor Eckstein hat
ihn mir wärmstens ans Herz gelegt. Winter sei ein gebildeter und
gottesfürchtiger Mann, hat er gesagt. Hm. Johann Sebastian Bach. Ja, das ist
Musik zur Ehre unseres Herrn. Sehr schön, Magdalena, sehr schön.“ Erneut
tätschelte er den Arm seiner Tochter.
„Ich müsste
dann mal mit den Hausaufgaben weitermachen“, sagte Magdalena, nachdem sie sich
gezwungen hatte, ihren Teller leer zu essen. „Darf ich bitte aufstehen?“ Das Gerede
ihrer Eltern über den Musikunterricht konnte sie an diesem Abend kaum ertragen.
Sie liebte es, Klavier zu spielen. Aber heute ... Sie war noch nicht lange als
Schülerin bei Raffael Winter, seit nunmehr sechs Wochen. Zuvor hatte sie
Unterricht bei einer älteren Dame gehabt, die dann aber schwer erkrankt war.
Der junge Herr Winter hatte ihr gleich gefallen. Er sah gut aus und hatte eine
offene und frische Art, ein wenig wie die Jungen in ihrer Schule, wenn die ihr
auch manchmal ein wenig zu forsch waren. Aber bei ihm machte ihr der Unterricht
noch deutlich mehr Spaß als zuvor bei der älteren Dame, die ziemlich streng und
verknöchert gewesen war. Selbst ihre Fehler nahm Raffael Winter nur mit einem
Lachen zur Kenntnis und ermunterte sie mit dem einen oder anderen Hinweis, es
einfach noch einmal zu probieren. Ja, mit ihm machte das Klavierspiel Spaß.
Umso schlimmer war, dachte sie bei sich, was sie sich heute geleistet hatte.
Danaide. Sie hatte sie bei ihm auf dem Kaminsims entdeckt, als er für ein
kurzes Telefonat aus dem Zimmer gegangen war und sie sich interessiert in dem großen,
ansprechend eingerichteten Raum umgesehen hatte. Wie ein Stromstoß war es ihr
beim Anblick der weißen Marmorskulptur durch den Körper gefahren. Wie
elektrisiert war sie von ihrer Klavierbank aufgestanden und hatte sich ihr
genähert. Ganz vorsichtig hatte sie ihre Hand ausgestreckt, um sie zu berühren.
Sie hatte sie nur einmal kurz anfassen wollen, ganz bestimmt. Aber dann ...
noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte sie sie an sich genommen und in
ihrer Tasche verschwinden lassen. Sie schämte sich. Aber bereits am morgigen
Mittag, gleich nach der Schule, würde sie ihre nächste Klavierstunde haben. Und
dann würde sie die Danaide einfach wieder an ihren Platz zurückstellen. Bestimmt
hatte er gar nicht bemerkt, dass sie sie genommen hatte. Und wenn doch?
Magdalena schluckte schwer. Nun, dann würde sie ihm eine Erklärung geben
müssen. Und sie würde sich entschuldigen. Aber nein, beruhigte sie sich im
nächsten Moment selbst. Das Musikzimmer war so mit allerlei Krempel voll
gestellt, dass er es unmöglich bemerkt haben konnte. Ganz sicher würde sie
einen Augenblick alleine im Zimmer sein. Nein, er würde nie erfahren, dass sie
eine Diebin war.
„Ja, natürlich kannst du nach
oben gehen und deine Hausaufgaben machen“, hörte sie in ihre Gedanken hinein
die Stimme ihres Vaters.
„B-bitte?“, stammelte sie
verwirrt.
„Ach, Magdalena, wo du nur wieder
mit deinen Gedanken bist“, tadelte er sie mit erhobenem Zeigefinger. Aber auf
seinem Gesicht zeigte sich auch ein Schmunzeln, und so wusste Magdalena, dass
dieser Tadel nicht so ernst gemeint war. Nur gut, dass er nicht wusste, womit
sie sich am Nachmittag tatsächlich beschäftigt hatte, dachte sie. Nicht
auszudenken, wie er reagiert hätte, wenn er wüsste, dass sie die Skulptur einer
nackten Frau vom Kaminsims ihres Musiklehrers gestohlen hatte und oben in ihrem
Zimmer immer wieder
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