Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
missbilligender Gesichtsausdruck hatte ihr deutlich zu
verstehen gegeben, dass er für diesen Heiterkeitsausbruch keinerlei Verständnis
hatte. „Mama“, hatte er fast drohend gesagt, „ich werde mein Leben der
Theologie widmen, ob du es nun für gut befindest oder nicht.“
„Für so etwas ...“, hatte sie
sofort angefangen zu zetern, aber er hatte ihr mit einer harschen Bewegung
seiner Hand das Wort abgeschnitten. „Das weiß ich schon“, hatte er genervt
gesagt, „ich werde mir mein Studium selber finanzieren. Ich kenne deinen Hass
auf jegliche Art von Religion ...“
„Auf jegliche Art der christlichen Religion, mein Junge.“
„Ja, der christlichen Religion
dann eben. Darum will ich dir auch nicht zumuten, dein mühsam ...
erwirtschaftetes Geld für meine Ausbildung zum Pastor zu vergeuden.“
Bei seinem beinah gequält herausgequetschten mühsam erwirtschaftetes Geld war sie kurz zusammengezuckt. Er wusste,
dass sie in jungen Jahren ihren Körper verkauft hatte, um ihn, Jonathan, und
sich über die Runden zu bringen. Nicht, weil sie es unbedingt so gewollt hatte.
Nein, vielmehr hatte das Leben ihr keine andere Wahl gelassen. Die sechziger
Jahre waren wilde Zeiten gewesen. Und sie als noch blutjunges Mädchen von 16
Jahren mitten drin. Ja, sie hatte sie genossen, die Freiheit, von der noch
wenige Jahre zuvor keiner auch nur ansatzweise zu träumen gewagt hatte. Sie
hatte das Leben genossen, die ausgelassenen Partys, die aufgeheizten Demos, die
endlosen politischen Diskussionen – den befreienden Gruppensex. Letzterer war
nicht ohne Folgen geblieben. Doch auch die Feststellung, dass sie schwanger
war, hatte sie noch mit einem fröhlichen Lachen zur Kenntnis genommen. Ein
neuer Erdenbürger, umsorgt, behütet und geliebt von der großen Familie, die sich
in Hamburg zu einer Kommune zusammengeschlossen hatte – was konnte es Schöneres
geben? In den ersten zwei Jahren nach der Geburt des kleinen Jonathan hatte das
Leben in der Gemeinschaft auch noch ganz gut funktioniert. Dann aber hatten
sich plötzlich ihre Mitbewohner anders orientiert, hatten die Kommune
verlassen, sich wieder ihren gelernten Berufen gewidmet, später dann Familien
gegründet. Vater, Mutter und zwei Kinder. Sie lebten auf einmal genau das
Spießerleben, gegen das sie sich nur wenige Jahre zuvor noch so vehement zur
Wehr gesetzt hatten. Und sie, die immer noch blutjunge Katharina? Sie war
damals mit Abstand die jüngste unter den Kommunarden gewesen, ihr um zehn Jahre
älterer Cousin hatte sie in diesen Kreis eingeführt. Alle hatten sie herzlich
aufgenommen, und sie hatte es damals als Privileg aufgefasst, von den älteren
und erfahrenen Männern, die zum Teil ihr vierzigstes Lebensjahr bereits
überschritten hatten, in die Geheimnisse der Sexualität eingeführt zu werden.
Heute wusste sie natürlich, dass diese Männer dies wohl nicht ganz
uneigennützig getan hatten. Heiße Lenden zwischen blutjungen Schenkeln. Die
Gelegenheit war günstig gewesen, und diese Männer hatten sie weiß Gott
ausgiebig genutzt und genossen; selbst dann noch, als sie schon hochschwanger
gewesen war.
Dann aber, praktisch von einem
Tag auf den anderen, waren sie gegangen. Und keiner von ihnen hatte sich für
Katharina und ihren kleinen Jonathan verantwortlich gefühlt. Es stehe ja
schließlich gar nicht fest, wer der Vater ihres kleinen Bastards sei, hatte es
geheißen, und daher sehe man sich ihr gegenüber auch zu nichts verpflichtet.
Denn: Hatte sie es nicht selbst am allermeisten genossen, dass man sie sexuell
begehrte? Hatte sie denn nicht bereitwillig ihre Schenkel geöffnet und mit
lustvollem Stöhnen um sexuelle Erfüllung gebettelt? Bestimmt werde sie auch
ohne ihre alten Kameraden ihr Leben meistern, schließlich stünden den jungen
Leuten doch heutzutage alle Wege offen.
Nun, dies hatte zwar für einen
Großteil der jungen Leute auch tatsächlich gegolten. Nicht aber für eine
alleinstehende junge Mutter mit Kind, die die Schule abgebrochen und keinerlei
Ausbildung vorzuweisen hatte. Nachdem auch ihre Eltern nicht bereit gewesen
waren, sie und diesen abscheulichen Bastard wieder bei sich aufzunehmen,
war Katharina letztlich nichts anderes geblieben, als das zu machen, was sie
konnte: Männern sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Zehn lange Jahre hatte
sie es gemacht, bis einer ihrer Freier sie schließlich hatte heiraten wollen.
Da sie keine andere Wahl hatte, hatte sie zugestimmt. Sicher, ihr Mann,
Dietrich, war ein guter Mann gewesen.
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