Luther. Die Drohung
Die Leitung steht noch. »John, ich
glaube, sie ist hier!«
Luther sieht hinunter in Madsens Augen. Spricht ins Handy. »Lebt
sie?«
Der Sarg ist ein großer Waffenkoffer, luftdicht
verschlossen mit Klebeband und gesichert mit sechs Schnappriegeln.
Vier Polizeibeamte, darunter Reed, ziehen ihn aus dem Loch in der
Wand und legen ihn flach auf den Boden.
Reed holt sein Taschenmesser heraus, schneidet am Klebeband entlang,
lässt die Riegel einen nach dem anderen aufspringen.
Er hebt den Kofferdeckel.
Darin ist Mia Dalton. Augen geschlossen. Arme auf der Brust
gekreuzt. Sie sind mit Klebeband umwickelt, um sie daran zu hindern, an den
Wänden ihres Sargs zu klopfen oder zu kratzen. Das zu sehen, macht es ihm
bewusst.
Reed steht auf und weicht zurück.
Plötzlich ist er wie erstarrt.
Teller tritt vor. Sie zerrt Mia aus dem Sarg, ein zartes, kleines,
dunkelhaariges Mädchen. Sie legt sie ausgestreckt auf den verdreckten Boden.
Hält ein Ohr an ihre Brust.
Scheiße.
Sie dreht Mias Kopf, macht ihre Atemwege frei. Dann überstreckt sie
ihn. Hält ihr die Nase zu. Legt ihren Mund auf Mias Mund und zwingt sanft Luft
in ihre Lungen.
Mias Brust hebt sich.
Luther blickt hinunter auf Madsen. Es ist still, bis auf
das Echo seines Flehens.
Reed behält das Handy am Ohr, während Teller die
Wiederbelebungsmaßnahmen fortsetzt.
Am anderen Ende der Leitung kann er widerhallende Schreie hören.
Er lässt das Handy sinken und beobachtet Teller.
Bis Mia Dalton heftig keuchend nach Luft schnappt und sich aufsetzt – blinzelnd, verwirrt, zutiefst verschreckt.
Teller schreit auf und umarmt das Kind. »O, tapferes Mädchen«, sagt
sie. »Tapferes Mädchen. Tapferes Mädchen.«
Reeds Knie werden weich. Er stützt sich an der Wand ab, hebt das
Handy hoch. »Wir haben sie!«
»Gut«, antwortet Luther.
Reed hört die Schreie.
Bitte.
Bitte. Ich falle. Ich falle gleich.
Er denkt einen Augenblick nach. Dann legt er auf, steckt das Handy
in die Tasche.
Er tritt zur Seite, um den herbeieilenden Sanitätern Platz zu
machen.
Teller hält Mia fest in den Armen. Wiegt sie, nennt sie ein tapferes
Mädchen, ein tapferes Mädchen.
Die Sanitäter müssen dreimal fragen, bevor sie Mia loslässt.
Luther starrt auf Madsen, der in der Luft baumelt.
»Bitte«, sagt Madsen. »Ich kann mich nicht mehr halten.«
Luther denkt darüber nach. »Erzählen Sie mir von den anderen,
Henry.«
» BITTE «,
fleht Madsen.
»Wie viele gab es noch?«
»Keine!«
» WIE VIELE NOCH ? Es
gab Adrian, nicht wahr? Es gab Baby Emma. Ich hab sie selbst aus der Erde
gezogen. Aber ich bin zu spät gekommen. ALSO WIE VIELE NOCH ?«
Es kommt keine Antwort.
Aber Madsens Angst verfliegt. Kontrolle kehrt in ihn zurück.
Er starrt zu Luther hinauf. In den Augen Todesqualen. Und Trotz.
In Luther wallt Hass auf. Er steigt von seinen Füßen in ihm hoch. Er
breitet sich in seiner Brust und seinen Schultern aus wie sich entfaltende
Flügel.
Luther streckt einen Fuß aus.
Er zögert.
Er sieht Madsen in die Augen.
Dann setzt er den Fuß auf Madsens Finger.
Madsen schreit auf.
Luther drückt seinen Fuß nach unten. Er setzt sein ganzes Gewicht
ein.
Und dann tritt er zurück.
Madsens Hände rutschen.
In wahnsinniger Aufregung sucht er nach einem Halt.
Dann fällt er in die Schwärze.
Er fällt tief. Tiefer und tiefer.
Luther sieht nicht, wie er auf dem Boden aufschlägt, aber er hört
es: ein nasses Knirschen. Ein langes, schallendes Echo.
Seine Kräfte versagen. Er taumelt zurück zur Galerie und setzt sich.
Er lässt die Füße über den Rand baumeln.
Er schaut hinunter. Er kann Madsens Leiche nicht sehen. Schaut aber
trotzdem hinunter.
Er versucht nachzudenken.
Er ist noch immer dort und versucht nachzudenken, als die Polizei
eintrifft.
Danksagung
Eigentlich sollte es so ablaufen.
Man ist Schriftsteller, man schreibt ein paar Bücher, in denen eine
Serienfigur vorkommt. Man hat Glück und die Rechte an der Figur werden von
einer Produktionsfirma erworben; dann adaptiert jemand die Geschichten für
einen Film oder eine Fernsehserie.
DCI John Luther hat, wie von ihm nicht anders zu erwarten, den
entgegengesetzten Weg genommen. Obwohl ich mich immer noch hauptsächlich als
Romanschriftsteller sehe, schreibe ich auch fürs Fernsehen. Luther war eine
Fernsehserie, bevor ein Buch daraus wurde, wodurch die Figuren, die ich in
Drehbüchern eingeführt hatte, von den Schauspielern, die sie darstellten, mehr
Substanz, Nuancen und Details erhielten.
Ich
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