Lux Aeterna (German Edition)
sonst so freundliche Gesicht. Die große blonde Dame mit dem strengen Kurzhaarschnitt nickte nur. Sie wirkte wie eine Geheimagentin. Der dunkelhaarige Mann dagegen lächelte zumindest höflich.
„Gut, bitte kommen Sie herein. Wir werden Ihnen das Kind holen, sie schläft aber bereits.“ Die Oberin erwartete wohl, dass die ungebetenen Gäste dafür Verständnis zeigen würden und eventuell später wieder kommen würden. Aber weit gefehlt. Mit einem tiefen Seufzer machte die Oberin sich auf den Weg zu dem kleinen Mädchen.
Ayleen lag hellwach in ihrem Kinderbettchen und schaute den eintretenden Schwestern fast freudig entgegen, so als hätte sie auf deren Besuch gewartet. Während eine der Schwestern das Kind reisefertig machte und die andere die wenigen Kindersachen in einen kleinen Koffer packte, war das Mädchen erstaunlich ruhig. Man hatte das Gefühl, als wüsste sie um ihr Schicksal.
* * *
Leander Knight führte in der Zwischenzeit zwei Telefonate, einmal mit Lejla und einmal mit dem Kardinal, der ihnen ein weiteres Treffen vorschlug. Jason und er befanden sich immer noch in Exeter.
„Lejla und Miles sind bereits am Kloster und holen das Kind. Unser Freund hat also nur noch eine Sache, die uns interessieren dürfte“, stellte er fast zufrieden fast.
Jason hatte das Gespräch zwar nicht belauscht, war aber dem Wortlaut gefolgt. Er nickte.
„Wir sollten ihn täuschen“, schlug Leander weiter vor. „Er weiß nicht, dass es ein zweites Einhorn gibt. Wenn wir ihm diese Waffe präsentieren und er nicht weiß, wo das Kind sich befindet …“
„…sieht er seine Felle davon schwimmen“, ergänzte Jason den Satz nicht ohne Genugtuung.
„Er hat dann nichts mehr in der Hand, um uns zwingen, seinen irrsinnigen Wunsch zu erfüllen. Es ist seltsam, wie schnell die Menschen nach immer mehr Macht streben, sobald ihnen das Schicksal auch nur die kleinste Chance zuspielt. Ich bin sicher, Pryce als Vampir hätte fast soviel Ehrgeiz wie unser dahingeschiedener Xavier“, meinte Leander mit einer Spur von Verachtung in der Stimme.
„Gut, ich besorge die zweite Waffe. Wo sollen wir uns treffen?“
„In der Kathedrale. Der Kardinal wird die Seitentür geöffnet lassen.“
* * *
Lejla und Miles waren inzwischen auf dem Weg in die Cheviot Hills. Jasons altes Landhaus würde ein hervorragendes Versteck für das kleine Mädchen bieten, und wenn Leander und er zurückkämen, dann sollten sie entscheiden, was weiter mit der Kleinen geschehen sollte. Das kleine Mädchen schlief auf dem Rücksitz des alten Wagens. Während der gesamten Fahrt von England an die schottische Grenze sprachen die beiden Hybridenvampire kein Wort. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Mit welchen unheilvollen Kräften war dieses kleine Wesen dort hinten auf die Welt gekommen? Und vor allen Dingen, welche unheilvolle Kräfte konnte sie entfesseln?
* * *
Mitten in der Nacht war die Kathedrale weit weniger einladend für die beiden unsterblichen Wesen, die sich gerade in der Mitte des Kirchenschiffes materialisierten. Die flackernden Kerzen malten eine geisterhafte Schattenszenen über die bunten biblischen Szenen in den Seitenschiffen, die durch Säulengänge abgetrennt wurden. Vor den Seitenaltären standen einige ewige Lichter, die wie rote Augen in die Dunkelheit starrten. Der schwere Geruch von Weihrauch haftete an allem und wirkte wie der Atem von tausenden Gebeten. Die mächtigen Statuen der Heiligen hoch über den Köpfen an den Säulen schienen zu schweben und über das Geschehen zu wachen. Bei ihrem Eintreffen hatte Leander Knight seinen Kopf vor dem Hauptaltar verneigt, über dem das schwere Kreuz an Ketten hing. Jason dagegen hatte sich bloß umgeschaut. Ihm erschienen die Blicke der Statuen eher abwehrend und bedrohlich. Er war hier eindeutig unerwünscht.
Mit einem leisen Quietschen öffnete sich eines der Seitenportale, und eine dunkle Gestalt machte sich in dem Rundbogeneingang breit. Eilig wurde die hölzerne Tür wieder geschlossen.
„Hallo? Sind Sie da?“ Was wie ein Flüstern klingen sollte, wurde mannigfach von dem Echo im Inneren der riesigen Kirche zurückgeworfen. Dann erblickte Pryce, in einem langen schwarzen Wintermantel gehüllt, die beiden Männer vor dem Hauptaltar und näherte sich ihnen mit schnellen Schritten. Jeder dieser Schritte hallte erneut von den Wänden wider. Leander hatte den Eindruck, dass auch dem Kardinal nicht wohl in seiner Haut war.
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