Luzifer
daß selbst der Erschaffer des Kreuzes mir nicht hatte helfen können. Auf meinem Weg ins Zentrum des Bösen hatte ich die Formel zur Aktivierung ausgesprochen, ohne einen Erfolg zu erzielen. Mein Kreuz war für mich wertlos geworden.
Und Hesekiels Bild verschwand im Mahlstrom der Zeiten, während sich das Rad weiterdrehte.
Auch jetzt noch bekam ich die Umdrehungen mit. Luzifer hatte mir das Bewußtsein nicht genommen, er wollte und würde mich bewußt weiterhin seelisch foltern.
Längst war der Prophet verschwunden. Wieder bekam die Dunkelheit die Überhand. Abermals würden die Jahrhunderte vorbeirollen und von der Finsternis überdeckt werden.
Gab es noch einmal das Licht?
Ich beschäftigte mich damit, während ich mich drehte, es mir aber nicht übel wurde und ich selbst keinen Schwindel bekam. Ja, da war noch etwas, einmal noch würde sich das Rad nicht mehr drehen, denn eine mystische Gestalt, die als der größte Bauherr der Bibel bezeichnet wurde, mußte sich einfach zeigen.
König Salomo!
Ob ich noch weiter zurück als Torkan, der Barbar, gelebt hatte, konnte ich nicht sagen. Für mich persönlieh war der weise König eigentlich die Endstation.
Schon allein bei dem Gedanken an diesen Namen bekam ich eine Gänsehaut. Er und die geheimnisvolle Königin von Saba, deren Grab wir vor nicht allzu langer Zeit gefunden hatten, standen mir positiv gegenüber. Salomo der Weise.
Ja, ich hatte ihn gesehen, ich hatte mit ihm über den Dunklen Gral geredet, der ebenfalls der Königin gehört hatte. Sie kannte die Geheimnisse des Grals, die hatte sie auch dem König Salomo erzählt, und er hatte damals einen Gegenpol zu dem Urbösen gebildet. Im Orient stand die Wiege der zivilisierten Menschheit. Das hatte auch Wolfram von Eschenbach gewußt, dessen geheime und verschlüsselte Botschaften mehr über den Gral aussagten.
Mir war es bisher nicht gelungen, die Botschaften zu finden und zu enträtseln.
Salomo war die letzte Chance.
Unabänderlich drehte sich das Rad weiter. Ich wußte selbst nicht, wie es möglich war, doch ein Strom des guten Gefühls durchfuhr mich. Optimismus, der gleich darauf brutal zerstört wurde, denn Luzifer, der nach wie vor die Regie führte, hatte dies bemerkt. Aus der Finsternis erschien wie ein rasch hingeschleudertes Bild die Gestalt von Jane Collins - und ihr Messer.
Sie hatte den Arm so erhoben, daß die Spitze auf mein Gesicht wies, und das schaurige Flüstern des Luzifer durchwehte meinen Kopf. »Keine Chance, Sinclair, keine Chance…«
Wieder tauchte ich ab in den Tunnel der Zeit. Die Düsternis der Vergangenheit, das Vorbeirollen der Jahrhunderte, all das überkam mich abermals.
Auf einmal erschien er!
Vergleichbar mit dem Auftauchen eines Retters stand er, umhüllt von einem rötlichen Schein. Salomo, der Weise!
Ich hatte mein Ziel erreicht, die letzte Person, die ich einmal gewesen war.
Hiernach gab es nichts mehr - nur noch den Tod!
***
Und das Rad stand still.
Ich wußte nicht einmal, ob ich atmete oder nicht. Alles war für mich zu fremd geworden. Ich schaute nach vorn, ich sah ihn in all seiner Größe. Kein Vergleich mit Hesekiel. Salomo wußte, was er sich zutrauen konnte. Hochaufgerichtet stand er vor mir und schaute mich an. Er trug ein langes, sandfarbenes Gewand, und um seinen Kopf ein stolaähnliches Gebilde, das sein Gesicht freiließ. Was war es für ein Gesicht?
Alterslos, vom Leben gezeichnet, von der Weisheit geprägt?
Möglicherweise in den Augen, die wissend und gleichzeitig gütig blickten. Ich dachte darüber nicht weiter nach und konzentrierte mich auf ihn.
Sein Haar besaß eine graublaue Farbe. Einige Strähnen lugten unter der Stola hervor und fielen bis gegen die hohe Stirn. Die Augen, die Nase, der Mund, der lange Bart, eine alttestamentarische Respektsperson, die Güte, einen unbeugsamen Willen und auch Härte in sich vereinigte. Er stand vor mir und wirkte so, als würde er durch ein offenes Fenster oder durch ein Loch in der Mauer blicken. Seine Augen sahen nur mich, ich suchte in ihnen nach einem Ausdruck. Sah er mich ebenso an wie die anderen? Konnte auch er, der Weise nichts an meinem Schicksal ändern?
Luzifer hatte mir das Bewußtsein voll und ganz gelassen. Tch sollte zittern, Angst bekommen, wenn es auch meine Helfer nicht schafften, mich zu retten. Er nickte mir zu.
»Wir sehen uns wieder, John Sinclair!«
Mein Gott, er sprach mit mir. Es durchfuhr mich wie ein innerlicher Schrei. Das durfte nicht wahr sein. Er redete mit
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