Luzifers Hammer
bereits vor dem Morgengrauen auf den Beinen. Die Farmer im Tal waren Frühaufsteher, und die Postleute standen ihnen in nichts nach. Er hatte den perlmuttartig schimmernden Kometenschweif gesehen, der die Erde einhüllte. Eine Spur dieses Scheins war immer noch vorhanden, er dämpfte das direkte Sonnenlicht und ließ das Blau des Himmels blasser erscheinen, wie der Smog, aber klar. Es herrschte eine merkwürdige Stille, als ob der Tag auf etwas warten würde.
Jason Gillcuddy mußte also nach Chicago zurück, bis zum nächsten Mal, wenn er wieder in die Wüste ging, um zu fasten und ein Buch zu schreiben. Harry würde ihn vermissen. Jason war im Tal weit und breit der gebildetste Mann, mit Ausnahme des Senators vielleicht – und der war’s echt. Harry hatte ihn am Tag zuvor von ferne gesehen, als er mit einem Wagen von der Größe eines Busses angekommen war. Vielleicht würden sie sich heute treffen.
Er fuhr schwungvoll auf das Haus der Adams zu, als sein Wagen zu schwanken begann. Er bremste. Eine Reifenpanne? Oder war ein Rad beschädigt? Die Straße bebte und schien sich zu winden, und es war, als wollte ihm der Wagen das Gehirn aus dem Kopf rütteln. Er hielt an, aber der Wagen schwankte immer noch! Er stellte den Motor ab. Schwankte er immer noch?
»Ich hätte auf diese Brandyflasche aufpassen müssen. Huch! Ein Erdbeben?« Die Schwingungen erstarben. »Ich dachte, hier gäbe es keine tektonischen Spalten.«
Er fuhr nun etwas langsamer. Die Farm der Adams lag auf der neuen Route, die er sich zurechtgelegt hatte, um dort eher einzutreffen. Er würde es wagen, zum Haus hinaufzugehen … und das würde ihm ein paar Minuten ersparen. Mrs. Adams hatte sich nicht mehr beschwert, aber er hatte Donna seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Harry nahm die Sonnenbrille ab. Der Tag war trüb geworden, ohne daß er es gemerkt hatte, und es wurde von Minute zu Minute dunkler: Wolken rasten plötzlich über den Himmel wie in einem zu schnell ablaufendem Film, und durch ihren dunklen Wanst zuckten Blitze. Harry hatte nie vorher so was gesehen . Ein Sommergewitter, nun gut. Es würde regnen.
Der Wind heulte wie ein Rudel Dämonen, die aus der Hölle ausgebrochen sind. Der häßliche Himmel sah jetzt fürchterlich aus.
Harry hatte nie im Leben so etwas gesehen wie diese schwarzen Wolken, von Blitzen durchzuckt. Es würde Mrs. Adams gar nichts schaden, dachte er rachsüchtig, wenn er ihre Post in den Briefkasten vor dem Tor gestopft hätte.
Doch vielleicht hätte Donna die Post bei diesem Wetter holen müssen. Harry fuhr hinauf und parkte unter dem Regenschutz am Tor. Als er ausstieg, prasselte schon Regen nieder, und das Überdach bot so gut wie keinen Schutz. Der Wind sprühte den Regen in alle Richtungen.
Vielleicht würde Donna auf sein Klingeln hin öffnen, aber sie war es nicht. Mrs. Adams schien gar nicht erfreut, ihn zu sehen. Harry versuchte, den Sturm zu übertönen – »Ihre Post, Mrs. Adams« –, und seine Stimme war so kühl wie ihr Gesicht.
»Danke«, sagte sie und rammte die Tür zu.
Der Regen fiel vom Himmel wie aus Kübeln und rann in schmutzigen braunen Strömen vom Wagen. Harry schämte sich. Er hätte nicht gedacht, daß das Postauto so dreckig war.
Er kletterte hinein, bereits halb durchweicht, und fuhr davon.
War ein solches Wetter hier im Tal nichts Ungewöhnliches?
Harry kam bereits seit einem Jahr hierher, doch er hatte noch nicht im entferntesten je so etwas erlebt. Die Sintflut! Er hätte liebend gern jemand danach gefragt. Jeden außer Mrs. Adams.
Sonst pflegte im Tal die Trockenzeit zu herrschen. Der Carper Creek führte kaum Wasser, er war kaum mehr als ein Rinnsal, das die glatten weißen Steine benetzte, die sein Bett bildeten, zumindest bis heute. Doch als Harry Newcombe über die Holzbrücke fuhr, klatschte das Wasser bereits mit Macht gegen die Brücke und nagte an der Kante, die stromaufwärts lag. Und immer noch prasselte der Regen wütend nieder.
Harry machte sich auf den Weg, um die Umschläge in Gentrys Briefkasten zu stecken. Das einzige Mal, als er Gentry überhaupt zu Gesicht bekam, hatte der Farmer eine Waffe auf ihn gerichtet. Gentry war ein Einsiedler, er mußte seine Post nicht unbedingt auf die Minute haben, und Harry mochte ihn nicht.
Die Räder drehten ein paar Mal durch, bis sie griffen und ihn wieder auf die Straße brachten. Früher oder später würde er stecken bleiben. Er hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, seinen heutigen Reviergang zu
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