Luzifers Kathedrale
Hölle geblasen hatte.
Weiter. Nur nicht aufgeben. Immer voran. Sich ducken. So wenig Widerstand wie möglich bieten.
Manchmal bekam er nicht mal richtig Luft, wenn ihm der Wind das Wasser massenweise ins Gesicht schleuderte. Dann hatte er für einen Moment das Gefühl, ersticken zu müssen, aber an Aufgabe dachte er nicht.
Wasser rann ihm entgegen. Die Erde fasste die nachfolgenden Massen nicht mehr. Es hatten sich zahlreiche neue Bäche gebildet, denen er nicht aus-weichen konnte. Und so rutschte er des Öfteren auf dem nassen glitschigen Boden wieder zurück.
Trotzdem packte er es.
Keuchend, fluchend und auf allen Vieren legte er die Strecke zurück und erreichte sein Ziel.
Er sah die Kathedrale.
Aber er sah sie nicht normal, sondern mehr als Schatten hinter der aus den Wolken hervorströmenden Regenwand. Für die Bewohner war sie ein Relikt aus ferner Zeit, als hier noch andere Menschen gelebt hatten. Es gab Leute, die sie liebten, aber auch welche, die sie strikt ablehnten, weil sie zu düster war und in ihr etwas Schreckliches hausen sollte.
Das war Julian McBell in diesem Augenblick egal. Er wollte nur Schutz vor dem verdammten Unwetter haben, und da war die Kirche der einzige Platz.
So kämpfte er sich Meter für Meter voran, immer wieder von Regengüssen überschüttet, die ihm oft genug die Luft zum Atmen nahmen. Tief geduckt, mehr rutschend als gehend, näherte er sich diesem gewaltigen Schatten, der hinter den Vorhängen aus Regenwasser in die Höhe ragte und zu einem zittrigen Schatten geworden war.
Er hatte den Eindruck, mit dem Wasser auf die Kathedrale zugeschwemmt zu werden. Über ihm spielten sich verrückte Szenen ab. Der gesamte Himmel war in Bewegung, und wenn McBell den Kopf anhob, dann sah er nicht die zahlreichen Türme und ungewöhnlichen Gestalten, die sich an der Außenwand versammelt hatten.
Das war keine normale Kirche. Wer sie hier auf der Insel errichtet hatte, der hatte sich zugleich auch etwas dabei gedacht.
Der Wind umheulte den mächtigen Bau. Er produzierte Töne, wie sie der Schäfer noch nie in seinem Leben gehört hatte. Der Wind jaulte um die Ecken, er verfing sich in den Lücken zwischen den Türmen, er fegte und schrie, er rüttelte gegen die Tür und schien den gesamten Bau umreißen zu wollen.
Julian McBell rutschte die letzten Meter durch knöchelhohes Wasser und prallte gegen die Tür an einer der Seiten. Es gab verschiedene Eingänge in die Kathedrale. McBell war nicht erst um den Bau herumgegangen, um durch den Haupteingang die Kirche zu betreten.
Er riss die Tür auf.
Wieder erhielt er einen Windstoß in den Rücken. Er empfand ihn wie einen Tritt, der ihn letztendlich über die Schwelle in das Innere katapultierte.
Er atmete auf. Kein Regen mehr, kein Sturm, der an ihm rüttelte. Es war alles so anders geworden und auch so schnell. Er hatte Mühe, sich daran zu gewöhnen und atmete zunächst tief durch.
Etwa eine Minute brauchte er, um sich zu erholen. Erst dann wrang er einen Teil seiner Kleidung aus. Aus dem Umhang rann das Wasser, wenn er den Stoff zusammendrückte, und er schaute auf die Pfütze vor seinen Füßen, in der er stand.
Er strich sein Haar zurück. Von seinem Vollbart war nicht mehr viel zu sehen. Die Nässe hatte ihn schrumpfen lassen. Klebrig, grau und nass hing er nach unten wie ein dick gewordener Faden.
Durchatmen, wieder zu sich selbst finden. Sich in eine Bank setzen und ausruhen, das wollte er.
Zuvor warf Julian McBell einen ersten Rundblick durch das Innere der Kirche. Sie war hoch, sehr hoch sogar. Hinter den schmalen und langen Fenstern bewegten sich die Schatten und mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, als würde dort ein unheimlicher Film ablaufen. Dabei waren es nur die Wolken, deren Fetzen an den Fenstern vorbeigetrieben wurden.
Aber das Schauspiel faszinierte ihn. Seine Fantasie ging auf Reisen. Er kam sich vor wie auf einer von mächtigen Mauern umgebenen Insel, die von den Gewalten der Natur gepackt worden war, um über den Himmel getrieben zu werden.
Immer wieder schlug der Regen gegen die Scheibe. Seine Tropfen waren die Trommelstöcke eines Drummers, der sich die Fenster als Ziel ausgesucht hatte.
Der Kampf der Natur ging weiter. Draußen heulte und brodelte es. Die Geräusche, die er kannte, erreichten ihn auch hier im Innern der Kirche, aber sie hörten sich jetzt anders an.
Sie waren leiser geworden. Unheimlicher. Sie hatten sich in Stimmen verwandelt. Das Jaulen und Schreien umwehte die Mauern.
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