Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
anderen.
„Brauchen Sie noch etwas, Mabel?“
„Danke, ich habe alles und werde früh zu Bett gehen. Emma Penrose wird morgen für mich einkaufen und sich um den Haushalt kümmern, bis ich wieder auf den Beinen bin.“ Sie sah ihn mit einem entschuldigenden Blick an. „Es tut mir leid, dass Sie noch immer auf mich verzichten müssen, aber in einer, spätestens in zwei Wochen werde ich vollständig gesund sein und meiner Arbeit wieder nachkommen können.“
„Das ist jetzt nicht wichtig.“ Victor musterte Mabel von der Seite. „Wär beinahe passiert, dass Sie gar nicht mehr hätten kommen können.“
„Victor …“ Mabel trat zu ihm und berührte flüchtig seinen Arm. „Wenn Sie mir Blut gespendet haben, haben Sie auch die Blutgruppe B – wieder etwas, das wir gemeinsam haben. Ich weiß, dass Sie es nicht hören wollen, daher sage ich nur schlicht und einfach: Danke!“
„Das war doch gar nichts …“
„Oh doch, Victor, tun Sie nicht immer so bescheiden. Wir beide wissen ganz genau, dass ich nicht mehr am Leben wäre, wenn Sie das nicht unverzüglich gemacht hätten.“ Verschmitzt stupste sie ihn mit dem Finger in die Seite. „Jetzt fließt Ihr Blut durch meine Adern – eigentlich ein gutes Gefühl. Solange ich nicht etwas von Ihrer Brummigkeit dadurch übertragen bekommen habe, ist alles in Ordnung.“
Nun musste Victor doch lachen, wurde aber gleich wieder ernst. „Mabel, so knapp wie dieses Mal war es noch nie.“ Er sah ihr fest in die Augen. „Warum können Sie nicht einfach so leben wie jede andere Frau Ihres Alters? Es beginnen doch jetzt wieder die Proben für das Theaterstück anlässlich der Festtage Lower Bartons. Dann die Vermietung von Higher Barton und mein Haushalt … Man sollte meinen, Sie haben mit alldem genügend zu tun.“
„Ach, Victor.“ Sie drückte seinen Arm und lachte befreit. „Geben Sie ruhig zu, dass Sie den Nervenkitzel, den unsere kleinen Detektivarbeiten mit sich bringen, ebenso mögen wie ich.“
„Trotzdem“, beharrte Victor. „Ich will einfach nicht mehr solche Angst haben müssen …“
„An mir soll es nicht liegen“, sagte Mabel leise. In der Tat saß ihr der Schrecken schwer in den Gliedern und die Gewissheit, Gevatter Tod in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen zu sein, bestärkte sie in ihrem Entschluss, die Jagd nach Mördern künftig Randolph Warden und Christopher Bourke zu überlassen. Sie gab sich einen Ruck. „Also gut, Victor. Sollte in Cornwall noch einmal jemand unter seltsamen Umständen zu Tode kommen, dann werde ich es wie die drei Affen halten.“
„Die drei Affen?“
Mabel lachte. „Na, Sie wissen schon: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“
„Das Letzte wird Ihnen wahrscheinlich am schwersten fallen“, bemerkte Victor.
„Was wollen Sie damit sagen?“ Mabel stemmte die Hände in die Seiten. „Rede ich Ihnen etwa zu viel?“
Victor entspannte sich und fand zu seinem Humor zurück. „Wissen Sie eigentlich, dass manche Männer sich fragen, warum sie eigentlich heiraten sollen, wenn ein Papagei doch schon für fünfhundert Pfund zu haben ist?“
„Tja, da haben wir Frauen es deutlich schwerer“, entgegnete Mabel schlagfertig, „denn so ein Esel kostet gut und gern zweitausend.“
Victor verschlug es die Sprache, seine Wangen röteten sich, doch dann lachte er laut. „Mabel, Mabel, gegen Sie komme ich einfach nicht an.“
Er nahm ihre Hände, drückte sie und beugte sich ein wenig vor. Für einen Moment dachte Mabel, er würde sie küssen. Victor zuckte aber zusammen und sah schnell zur Seite. Verwirrt wegen des Gedankens, dass es ihr außerordentlich gut gefallen hätte, wenn Victor sie geküsst hätte, entzog sie ihm ihre Hände und trat einen Schritt zurück. Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Für eine solche Gefühlsduselei waren sie beide doch wirklich zu alt.
Stattdessen sagte sie ernst und aufrichtig: „Victor, ich mische mich nie wieder in die Angelegenheiten anderer Menschen ein und begebe mich nicht wieder in Gefahr. Das verspreche ich Ihnen.“
In diesem Moment konnte Mabel nicht ahnen, dass es manchmal unmöglich war, ein Versprechen einzuhalten – auch wenn es noch so aufrichtig gemeint war.
Personen- und Ortsverzeichnis
Orte
LowerBarton : Fiktive kleine Ortschaft nördlich von Polperro.
Higher Barton : Fiktives Herrenhaus, drei Meilen westlich von Lower Barton. Erbaut im 16. Jahrhundert, seitdem ununterbrochen im Besitz der Familie
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