Macabros 020: Die Blutgärten von Sodom
Ping Ma,
der sie geweckt hatte.
Als sie zu sich kamen, waren sie unversehrt. Das Lager und die
anderen Begleiter allerdings waren verschwunden. Sie selbst lagen
mitten im Dschungel, fanden sich aber nicht mehr zurecht, und seitdem
war ihr Leben eine einzige Kette von Grauen.
Donovan Watkins ging an der Spitze der kleinen Gruppe, hinter ihm
folgte seine Tochter, den Abschluß bildete der schweigsame
Chinese.
Plötzlich erfolgte wieder ein Schrei. Wie ein Messer schnitt
es in Watkins’ Rücken.
Der Forscher wirbelte herum.
Brenda Watkins warf sich instinktiv zu Boden, als der Schatten aus
der Höhe sie streifte.
Ping Ma!
Der Chinese schrie wie am Spieß. Er schwebte über ihnen
in der Luft, von einer klebrigen, armdicken Liane umwickelt, die ihn
auf eine große dunkle Öffnung zuzog.
Ein dunkelgrüner Blütenkelch, der wie ein
weitaufgerissener Rachen gähnte, vibrierte zuckend und nahm den
um sich schlagenden, schreienden Chinesen auf.
Die großen klebrigen Blätter schlossen sich schmatzend
und nahmen das Opfer auf.
*
Ein langgezogenes Stöhnen kam aus dem Innern der
heimtückischen Blüte. Die flexible Haut wurde nach
außen gedrückt, Beulen entstanden.
Ping Ma kämpfte in einer Höhe von zehn Metern um sein
Leben. Wie ein schwaches, gefangenes Insekt, das von den
Blättern einer fleischfressenden Pflanze umhüllt wurde,
kämpfte er um seine Befreiung.
Ratlos und hilflos mußten sie mit ansehen, was dort oben
geschah, unfähig, etwas für den Begleiter zu tun.
Ping Mas Bewegungen wurden schwächer. Das zähe Blattwerk
der Pflanze verfärbte sich.
Die Zeugen des Vorfalls hielten den Atem an.
Nur eine Fata Morgana – wie vorhin?
Die Blattrippen und das Gewebe wurden rubinrot.
Der Atem stockte Watkins und seiner Tochter.
Es war Blut. Das Blut ihres Begleiters. Die fleischfressende
Pflanze saugte es aus Ping Mas Körper…
*
Stöhnend wandte Brenda Watkins sich ab. »Laß’
uns von hier fortgehen, schnell«, schluchzte sie.
Der Professor legte seinen Arm um ihre Schultern und war
kreideweiß.
»Fortgehen? Ja…«, murmelte er tonlos. »Sofort
– wohin du auch immer möchtest. Aber es ist nicht so
einfach.«
Sein Blick ging in die Runde. Jetzt erst sah er sich die
überdimensionalen Pflanzen mit den Lianen, die er die ganze Zeit
für wildwucherndes Blattwerk gehalten hatte, näher an.
Sie waren alle gleich. Riesige, ins Gigantische gewachsene
Fleischfresser, zu groß, um von winzigen Insekten oder anderem
Ungeziefer leben zu können. Diese Pflanzen waren auf Menschen
angewiesen.
Im Blattwerk raschelte es. Wie Schlangen bewegten sich die
dunklen, armstarken, klebrigen Lianen, als nähmen sie die
Witterung auf.
Ein Garten des Grauens umgab sie.
*
Es klopfte an die Tür.
»Herein«, sagte der Mann mit dem gepflegten Schnurrbart
und hob den Kopf. James Kingdon wußte, wer der Besucher war. Er
hatte ihn selbst zu sich gebeten.
Kingdon, Alleininhaber eines großen Verlages und
Chefredakteur des auflagestärksten Magazins »Star«,
das wöchentlich mit rund einer Million Exemplare auf dem
englischen Zeitungsmarkt erschien, erhob sich.
Der Eintretende war ein schlanker junger Mann, dunkelhaarig, mit
federnden Bewegungen und einer natürlichen Schlacksigkeit, die
von seiner Größe herrührte.
Kingdon reichte dem Gast die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen.
Kopfschüttelnd musterte er seinen Starreporter. »Entweder
Sie werden immer größer oder ich fange schon an zu
schrumpfen, Blish. Was stellen Sie eigentlich an, um ständig
weiterzuwachsen?«
»Ich trinke viel Milch und schlucke täglich ’ne
Menge Vitamine, Mister Kingdon.«
»Dann müßten alle, die das tun, aus dem Wachsen
nicht mehr rauskommen.«
»Was bewiesen ist! Säuglinge und Kleinkinder sind die
besten Beispiele dafür.«
»Aber irgendwann hören die auch zu wachsen auf. Etwas
scheint mit ihrer Hypophyse nicht zu stimmen. Sie sollten sich mal
untersuchen lassen. Sie kommen mir seit letzter Woche mindestens zwei
Zentimeter größer vor.«
Garry Blish grinste. Er hatte ein starkes, blendend weißes
Pferdegebiß, das zu seinem etwas kantig wirkenden Gesicht
paßte. »Ich kann Sie beruhigen, Mister Kingdon. Ich bin
noch genauso groß wie in der letzten Woche. Ich komme über
einsneunundneunzig nicht hinaus, obwohl ich gern ’ne glatte Zahl
im Ausweis stehen hätte. Daß ich Ihnen heute
größer vorkomme, mag damit zusammenhängen, daß
ich mir heute morgen die Haare schneiden ließ. Die Ohren
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