Macabros 030: Tempel der Versteinerten
aus den Urwäldern Yucatans
das Leben.
Pepe wäre über die Reling gefallen, wären da nicht
Hellmarks kräftige Hände gewesen, die ihn festhielten.
Ein Zittern lief durch den Schiffsrumpf. In diesen Sekunden schien
es, als wäre ihr Schicksal besiegelt.
Der Bug bäumte sich auf, als er von der Wucht der
unterirdischen Strömung, die hier in unmittelbarer Landnähe
besonders intensiv auftrat, über eine scharfkantige,
zerklüftete Felsplatte gezogen wurde.
Es hörte sich an, als ob ein riesiges Sägeblatt in den
Rumpf des Schiffes eindringe. Es knirschte hell und kreischend, und
eine Wasserflut ergoß sich in die unteren
Schiffsräume.
Das Schiff wurde zum Spielball der Gewalten.
Dies alles passierte innerhalb von Sekunden, und Hellmark fragte
sich, ob das Unheil, dem sie in der letzten Nacht entrannen, nun
schon wieder anfing.
Wasserfontänen spritzten über sie hinweg. Das Wasser um
sie herum rauschte und zischte, als würde es sieden, und das
Schiff wurde von einem Felsen zum anderen geschleudert.
In das Tosen und Pfeifen, das ein aus dem Wasser steigender Sturm
zu entfachen schien, mischte sich das angstvolle Wiehern eines
Pferdes!
Yümaho!
Instinktiv hatte der Hengst sich der Wucht, die auf das Schiff
einstürmte, entgegengestemmt, und seiner Kraft war es zu
verdanken, daß er den ersten Ansturm überstanden hatte.
Aber den zweiten Stoß überstand er nicht. Auf den
glitschigen Planken schlitterte er gegen das Heck, seine Hufe suchten
vergebens nach einem Halt, und schneller als menschliche Blicke
verfolgen konnten, tauchte er in einer glitschigen Welle unter, die
wie eine Geistererscheinung am Heck aufstieg. Als sie in sich
zusammenfiel, war von Yümaho keine Spur mehr zu sehen.
Der Hengst war von der Flut verschlungen worden.
*
»Yümaho!« Hellmarks gepeinigter Aufschrei wurde
verschluckt vom Tosen der aufgebrochenen Gewalten.
Von einer Sekunde zur anderen sah die Welt anders aus. Der Kampf
ums nackte Überleben hatte begonnen.
Wie war so etwas nur möglich? Hellmarks Sinne fieberten,
während er sich mit stählernem Griff an die Reling
klammerte und mit der anderen Hand Pepe festhielt, damit nicht auch
noch er von der Wucht der Wellen ins aufgepeitschte Wasser
gespült wurde.
Ohne ein Zeichen der Vorankündigung war das Unwetter
losgebrochen, aber das Merkwürdige daran war, daß nur
diese Landzunge von dem Sturm in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Eben noch strahlend blauer Himmel – jetzt alles Grau in
Grau.
Das Schiff hatte eine bestimmte Schwelle überschritten, und
damit hatte alles begonnen.
Während Hellmark um Pepes und sein Leben kämpfte,
wirbelten seine Gedanken wie flimmernde Glassplitter
durcheinander.
Hatte er die ganze Zeit Dinge gesehen, die es gar nicht gab?
Wirkte diese Landzunge nur so friedlich – und sie war in
Wirklichkeit eine Falle, an der die Schiffe zerschellten? Dann hatten
alle, die diesen Weg fuhren in der Hoffnung, das untergehende Land
verlassen zu können, den Tod gefunden oder waren hier
gestrandet?
Tausend Gedanken erfüllten ihn, tausend Fragen und keine
Antwort darauf.
Krachen und Bersten…
Das Schiff brach in der Mitte auseinander. Wellen peitschten die
Planken und vernagelten Bohlen. Wie ein Spielball flog Hellmark durch
die Luft und wurde von Pepe weggerissen.
Er sah, daß der Junge von einer Welle mit Urgewalt
hochgespült wurde, daß sich gewaltige Strudel bildeten,
die Kisten, Truhen, zahllose Wasserbehälter und aluminiumfarbene
Vorratspackungen mit Brot, Keksen und Zwieback in die Tiefe rissen,
als würden geifernde Mäuler danach schnappen.
Hellmark tauchte unter. Er schluckte Wasser und stemmte sich mit
äußerster Kraft gegen die Naturgewalten, die ihn
vernichten wollten. Er tauchte wieder auf und schnappte nach Luft.
Das Schiff war nur noch ein Wrack. Schiffsplanken wirbelten auf den
gischtigen Wassern, wurden wie welke Blätter in die Luft
getrieben und zersplitterten auf den nackten Felsen vor dem schroffen
Ufer des Eilandes, das so greifbar nahe lag und das sie nun doch
nicht zu erreichen schienen.
Er kämpfte um sein Leben, tauchte immer wieder auf, strebte
dem Ufer zu und konnte es nicht fassen, als er Boden unter den
Füßen spürte. Steinigen, harten Untergrund. Er kroch
auf allen vieren an den Felsstrand. Zersplitterte Bretter tanzten auf
den Schaumkronen der Wellen, Truhen und Fässer wurden an den
schmalen Strand geworfen, wo ein dunkler Schopf auftauchte.
Pepe!
Hellmark taumelte auf den Jungen zu, packte ihn und
Weitere Kostenlose Bücher