Macabros 035: Mirakel, Mann der Geheimnisse
Mann mit dem grauen Bart rührte in
diesem Topf, und seine stechenden Augen ließen ihn keine
Sekunde unbeobachtet.
»Komm’ nach Valon, Frank Morell… komm nach
Valon…!«
Dreimal in drei hintereinanderfolgenden Nächten war diese
Aufforderung an ihn ergangen. Er besann sich genau.
Valon?
Er wußte nicht mal, wo das lag. Was sollte er dort? Wieso
überhaupt hielten sich seine Träume so hartnäckig.
Er nahm sich vor, noch heute Dr. Felkmann anzurufen und ihm
mitzuteilen, was mit ihm los war.
*
Die Stimmung im Büro war gut.
Das war sie eigentlich immer. Wenn man von den Montagen absah, wo
jedem noch das Wochenende in den Knochen steckte und niemand rechte
Lust hatte, etwas zu tun. Doch im Lauf des Tages änderte sich
das dann meistens.
Das Büro ›Gering und Krollmann‹ lag in der neunten
Etage eines neuerbauten Bürohochhauses in der Nähe des
Messegeländes.
Vor dem Haus gab es ausreichend Parkplätze. Die waren
numeriert. Morell stellte seinen BMW 520 auf die für ihn
reservierte Nummer 7 ab.
Frank trug einen grauen Flanellanzug mit feinen weißen
Streifen, dazu eine rot-grau gemusterte Krawatte. Er kam stets gut
gekleidet ins Büro. Am liebsten arbeitete er zwar in
Rollkragenpullover und Blue Jeans, aber die Inhaber des
Konstruktionsbüros ›Gering und Krollmann‹ legten Wert
auf eine gewisse Etikette, und sie lagen da sicher nicht verkehrt.
Zwar würde Alexandra Becker, die ältere der beiden
Zeichnerinnen, sich auch in Pulli und knappen Blue Jeans gut machen,
aber so mancher Einblick würde einem da verwehrt bleiben.
Alexandra war ein Mode-Fan und hatte eine Schwäche für
französische Modelle. Sie übertrieb zum Glück nicht
und schlüpfte nicht mit Gewalt in Kleider, die zwar modisch,
aber keineswegs schick waren. Sie wußte genau, was sie tragen
konnte und was nicht.
Alexandra war schon da, als Frank Morell, sich leicht auf seinen
Stock stützend, das Büro betrat. Er begrüßte
sie.
»Morgen, Frank!« freute Alexandra sich. »Gut
geschlafen nach der Gewaltkur von gestern abend?«
Mit der Gewaltkur meinte sie, daß er gestern bis kurz vor
Mitternacht hier im Büro gesessen und gearbeitet hatte, um
verlorene Zeit aufzuholen. Bei der Arbeit hatte sich unerwartet ein
Problem ergeben, das er vorher nicht bemerkte. Zum Glück hatte
er den Fehler noch ausmerzen können. Aber es war ein
großer Zeitaufwand dafür erforderlich geworden.
Frank Morell schlüpfte in den weißen Kittel.
Alexandra sah wieder zum Anbeißen aus. Sie war blond und
hatte das dichte, wie Gold schimmernde Haar nach oben gesteckt. Ihr
gutgeschnittenes Profil kam auf diese Weise und durch die
überdimensionalen, perlmuttschimmernden Ohrringe, noch besser
zur Geltung.
Die Zeichnerin trug eine kräftig gemusterte Bluse mit
Phantasie-Motiven und einen langen grauen Rock, der an der Seite
hochgeschlitzt war.
Petra Veiten tauchte noch auf, ehe es halb acht war. Sie nahmen
ihre Plätze ein. Während der Arbeit wechselten sie
untereinander nur selten ein Wort. Morell konzentrierte sich ganz auf
seine Zeichnung.
Um neun Uhr war Frühstückspause. Die rundliche Petra
holte dann meistens etwas aus dem Imbißladen an der Ecke. Dort
gab es ausgezeichnete Hamburger, Bratwurst, gegrillte Hahnchen,
Rindswurst und heiße Fleischwurst.
Sie entschieden sich für das letztere. Petra, obwohl noch
gestern angekündigt, daß sie die Zwischenmahlzeiten
auslassen wolle, brachte sich auch ein Stück Fleischwurst mit.
Ohne Brötchen.
»Wegen der Kohlehydrate«, meinte sie. »Da muß
man aufpassen.«
Sie wog jetzt fünfundsiebzig Kilo. Fünfundfünfzig
wären ihr Idealgewicht. Sie hatte ein breites Gesicht,
Ponyfrisur, und was immer sie auch trug, nichts war mehr imstande,
die überflüssigen Pfunde zusammenzuhalten. Petra war
siebzehn, als sie im Büro anfing. Da hatte sie nur fünf
Kilo Übergewicht. Innerhalb von vier Jahren, da sie sich
geschworen hatte kein Gramm mehr zuzunehmen, waren noch fünfzehn
Kilo hinzugekommen.
Petra Veiten war hübsch. Leider kam das nicht so zur Geltung,
wie das hätte sein können.
Sie schlug die Beine übereinander. Ihre massigen Schenkel
strapazierten die Nähte des Rockes, den sie trug.
Petra blätterte in der Nachtausgabe.
»Habt ihr das gestern schon gelesen?« fragte sie dabei
beiläufig.
»Was sollen wir gelesen haben?« fragte Alexandra
interessiert.
»Die Sache mit dem Mädchen, das sich in Luft
aufgelöst hat.«
»Wahrscheinlich ist sie wieder aufgetaucht«, warf Morell
ein und biß
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