Macabros 040: Tal der tausend Foltern
liebte.
Wie konnte eine Fee eine Bestie lieben?
Da stimmte etwas nicht. Tamuur führte ihn an der Nase
herum.
Er wußte nicht, wohin er lief, und wie lange er schon auf
den Beinen war. Er spürte Müdigkeit, aber er legte sich
nicht hin.
Immer geradeaus. Du mußt nur immer geradeaus laufen, meinte
er die Stimme des Scharlachroten in seinem Hirn zu hören.
Lief er geradeaus? Lief er vielleicht nicht im Kreis?
Er wußte es nicht.
Manchmal kam es ihm so vor, als wäre er in diesem oder jenem
Abschnitt des Geistertals schon gewesen doch dann irritierten ihn
wieder Farben und Formen und unästhetisch wuchernde
Gewächse.
Er kam schließlich an eine Mauer aus blutigroten
Stäben. Dahinter schimmerte es hell und verlockend.
Die Umrisse eines zauberischen Gebäudes. Eine Burg erhob sich
unwirklich hinter der Faserschicht.
Geradeausgehen…
Er ging geradeaus und passierte ohne Widerstand die rötliche
Membran, die einen besonderen Teil von Tamuurs Zaubergarten
abzutrennen schien.
Ka-To hielt den Atem an und blieb Überwältigt stehen,
als er das Schloß des Hexenmeisters in seiner ganzen
Rätselhaftigkeit vor sich sah.
*
Wie eine seltene Muschel aus einem fernen Meer, die ihre
urwelthafte Form beibehalten hatte, ragte das Magierschloß
gegen den mit Häuten bespannten Himmel.
Es gab Türme und Nischen, Zinnen und rüsselartige
Vorbauten, die unten massig begannen und sich nach oben hin
verjüngten. Eiförmige Öffnungen bildeten Fenster und
Tore, zu denen schmale, gewundene Brücken führten die
Tümpel und Teiche überspannten, aus denen fahle, grüne
Nebel stiegen.
Zwischen den hochgespannten Brücken und den Ausläufern
schmaler weißer Pfeiler des Schlosses waren fledermausartige
Flügel gespannt, die die Merkwürdigkeit dieser Behausung
des Hexenmeisters Tamuur unterstrichen.
Auf einer der schmalen Brücken stand eine Gestalt in einem
leuchtend gelben Gewand, das platinblonde Haar fiel offen bis auf die
Hüften herab. Verführerisch leuchtete in einem unwirklichen
Licht der vollendet schöne Körper durch das dünne,
seidige Gewebe.
»Aleana«, murmelte Ka-To. Er konnte nicht den Blick
wenden von der Geliebten, die er verloren geglaubt hatte.
Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt stand sie dort oben,
blickte über die Brückenbrüstung hinab in den Teich.
Auf ihrem Gesicht lag ein verklärter Ausdruck, als ob sie etwas
unendlich Schönes erlebe.
»Aleana!« schrie er auf und rannte los, stürmte die
schmale Brücke hoch, und eilte auf Aleana zu, die verwundert und
überrascht dem Ankömmling entgegenblickte.
»Ka-To!« Ihre Stimme war rein und zart wie die eines
Vogels. Sie breitete die Arme aus und lief ihm entgegen.
Er wußte später nicht mehr zu sagen, wie sich alles im
einzelnen abgespielt hatte. Plötzlich fühlte er ihren
heißen Körper, ihre Arme, die ihn umschlangen, ihre
feuchten Lippen, die einen zärtlichen Kuß auf seinen Mund
hauchten.
Er schlang seinen Arm um ihre Hüften und preßte sie an
sich.
»Aleana!« murmelte er nur. Mehr konnte er nicht sagen.
Glück und Ratlosigkeit schnürten ihm die Kehle zu.
»Glücklicher!« hauchte sie. »So hast du auch
die Pforte zum Paradies gefunden.« Ihre Augen glänzten. Er
sah ein Antlitz vor sich, das Glück und Zufriedenheit
widerspiegelte. »Wie dumm waren wir doch… in Ullnak…
da gab es Sorgen und Not und Angst vor Tamuur und seinem Tal der
tausend Foltern… dabei brauchen wir keine Angst zu haben. Ist es
nicht herrlich hier, Ka-To? Einen Garten wie diesen gibt es nur
einmal auf der Welt. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Ich
war nie glücklicher.«
Die Mundwinkel fielen ihm herunter. Hörte er richtig? Aleana
– war glücklich?
Sie trat einen Schritt zurück, musterte ihn, und ihre Miene
veränderte sich nicht. »Du siehst gut aus.«
Sah sie denn nicht, daß er ein Krüppel war, daß
er nur noch einen Arm hatte?
»Du findest eine glückliche Aleana wieder, die
erfüllt ist vom Geist dieses Gartens, den sie nie wieder
verlassen möchte…«
Sie lächelte ihn an. Ihre gleichmäßigen Zähne
schimmerten wie Perlen.
»Wir waren immer gute Freunde, Ka-To. Wir wollen es auch
bleiben. Hier habe ich den Mann gefunden, den ich liebe… mit dem
ich dieses herrliche Schloß teile…«
Sein Herz schlug wie rasend. Ihre Worte versetzten ihm
glühende Nadelstiche.
»Sieh genau hin. Aleana!« sagte er erschreckt. »Es
ist nicht alles so, wie du es siehst. Du bist bei Tamuur. Er
läßt dich Dinge sehen, die nicht
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