Macabros 040: Tal der tausend Foltern
Aufschrei.
Aber er kam nicht aus dem Mund des Getroffenen. Er kam aus dem
Pflanzenantlitz, das mit dem Gesicht des Getroffenen identisch
war.
Der Unglückliche erlebte noch einmal alle Schmerzen, alle
Wut, alle Verzweiflung, die er seinerzeit durchgemacht hatte. Sein
Körper war längst vergangen, aber sein Geist und seine
Seele waren wach und hier in dem Kessel der endlosen Qualen gefangen.
Ein passender Name für diesen Ort des Grauens!
Die Qualen endeten hier in der Tat nie. Nach Bedarf konnte Tamuur
sie wieder aufwirbeln, konnte jeden, der hier gekämpft und
gestorben war, immer wieder mit seiner Angst und
Unzulänglichkeit konfrontieren.
Es wurde ein kurzer und erbitterter Kampf.
Nach dem Verlust des Armes war der in Leder Gekleidete stark
angeschlagen. Er hatte keine Chance mehr, seinem Gegner ernsthaft
gefährlich zu werden.
Im Zweikampf verlor er ein Bein und ein großes Stück
aus der Hüfte. Die Zweikämpfe in den Arenen der Griechen
und Römer, in den Tempelstädten der Mayas und Azteken waren
um nichts blutrünstiger als dieses Geschehen, das durch den
Willen eines grausamen Geistes herausgefordert wurde.
Der in der Silberrüstung ließ ein letztes Mal die
stählerne Peitsche durch die Luft schwingen. Wie eine Schlange
wickelte sich die elastische Schnur um den Hals des Opfers. Ein
kurzer Ruck – und alles war zu Ende.
Der Körper brach zusammen, der Kopf rollte wie ein Ball
über die harten, kahlen Schädel.
Der Spuk löste sich auf.
Körper und Gliedmaßen zerflossen. Der Nebel zog sich in
die Bezugsblüte zurück. Der junge Kämpfer in der
Silberrüstung senkte den Blick, ein trockenes Schluchzen
schüttelte seinen Körper, und aus den faltigen verzerrten
Mündern der dunklen Blüten drang ebenfalls Schluchzen. In
dem geisterhaften Talkessel wimmerte und weinte es, langgezogene
Klagelaute verloren sich in der unendlichen Weite des Tales.
Der Sieger wurde zu einem diffusen Nebel, der sich rasend schnell
zu drehen begann und wieder in jenem Schädel versickerte, aus
dem er gekommen war.
Der Spuk war vorüber.
Das Wimmern lag noch eine Zeitlang in der Luft, ehe es klagend
verstummte.
Zurückgeblieben waren – die beiden Metallpeitschen.
»Nun zeigt was ihr könnt. Es kann nur einen Sieger
geben«, sagte der Scharlachrote mit eisiger Stimme.
*
»Ich weigere mich«, sagte Hellmark.
Auch Danielle de Barteaulieé machte keine Anstauen, sich
von der Stelle zu bewegen.
»Nun gut, wenn ihr es nicht freiwillig tut, so werde ich euch
dazu zwingen. Niemand kann sich dem Willen Tamuurs entziehen. Wenn er
das Schauspiel sehen will, so wird er es sehen, und Rha-Ta-N’my,
die das Spiel angeregt hat, wird wie ich ihre Freude daran
haben.«
»Nicht mit Gewalt«, entschied Danielle de
Barteaulieé. Mit einem entschlossenen Schritt trat sie nach
vorn, bückte sich und nahm die Peitsche auf. Als hätte sie
nie etwas anderes getan, zog sie sie einmal heftig durch die Luft,
daß sie lautstark um den geschliffenen Draht zischte und
starrte mit einem kalten, herausfordernden Blick zu Hellmark
hinüber.
»Nun komm!« herrschte sie ihn an. »Laß es uns
hinter uns bringen.«
Hellmarks Lippen wurden hart.
Kam in Danielle die Hexe wieder vor? War die dämonisch
beeinflußte Seite ihrer Seele stärker als ihr Denken und
Fühlen, das sie noch vor kurzem unter Beweis gestellt hatte?
Ihr Gesicht war bleich und wild entschlossen.
»Verteidige dich, Feigling«, stachelte sie ihn an.
»Ich werde alles daransetzen, diesen Kampf zu gewinnen.
Rha-Ta-N’my, die Göttin der Dämonen, die Mutter der
Geschöpfe der Finsternis, wird mir beistehen. Es wird für
mich kein größeres Glück bedeuten, als dich zu
vernichten und die Gewißheit zu haben, daß deine Seele
und dein Geist für alle Zeiten hier in diesem Tal der endlosen
Qualen gefangen sein werden.«
Sie sprang nach vorn. Die Metallpeitsche sauste durch die Luft.
Hellmark sah die messerscharfe Schneide auf sich zukommen.
Geistesgegenwärtig duckte er sich, ging in die Hocke und
riß gleichzeitig das Schwert des Toten Gottes empor. Er hatte
das Gefühl, ein Zentnergewicht in die Höhe zu stemmen.
Tamuur lachte schallend. »Ich habe dir gesagt, daß die
Wahl der Waffen bestimmt ist, Eindringling. Wenn du dich nicht daran
hältst, wirst du die Konsequenzen tragen müssen.«
Die elastische Schneide verfehlte ihn um Haaresbreite. Er
spürte den Luftzug über seinem Kopf.
»Du hast es in deiner Hand«, zischte Danielle
haßerfüllt. »Läßt du dich
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