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Macabros 091: Die Pestreiter

Macabros 091: Die Pestreiter

Titel: Macabros 091: Die Pestreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Shocker
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die Blätter und wurde ganz
sichtbar. Mit fast tänzerischer Geste tastete er unter seine
linke Achselhöhle und holte ein kleines, mattschimmerndes Ei
hervor.
    »Da tut sich was«, sagte er, diesmal die Stimme
dämpfend. Er hielt das Ei an sein Ohr, klopfte zweimal gegen die
Schale und lauschte dann geistesabwesend. »Er antwortet«,
strahlte Whiss von einem Ohr zum andern. »Er hat
zurückgemorst. Blop blop hat’s geklungen… na, das wird
ein strammer Bursche. Ganz wie ich. Das Bürschchen wird noch
heute ausschlüpfen. Danach ist mir alles gleich. Dann könnt
ihr aus der Palme Kleinholz machen, interessiert mich alles nicht
mehr. Aber solange ich hier oben meditiere, verbiete ich mir jeden
Unfug.«
    Whiss steckte sein Ei wieder in die faltige Achselhöhle, die
an den Hautsack eines Miniaturkänguruhs erinnerte,
grüßte mit einem langgezogenen Schmatzlaut noch mal in die
Tiefe und klappte dann den Blättervorhang vor sich zu.
    Pepe und Jim mußten herzlich lachen und nahmen dann ihr
Spiel wieder auf.
    Der Mexikanerjunge lief los, als Jim - diesmal beträchtlich
langsamer – zu zählen begann.
    Pepe verschwand hinter blühenden Hibiskussträuchern.
    Geduckt lief er weiter ins Landesinnere, immer mehr weg vom
offenen Meer, über das sich ein strahlend blauer, wolkenloser
Himmel spannte wie ein Tuch aus kostbarer Seide.
    Pepe warf einige Male einen Blick zurück und stellte
zufrieden fest, daß Jim sich noch nicht sehen ließ und
sich an die Abmachungen hielt.
    Der Knabe verschwand in den ausgedehnten Palmwäldern, die
sich über die ganze Insel zogen.
    Gefiltert fiel die Sonne durch das Blätterdach.
    Da geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte.
    Gefahr auf Marlos, der Insel des Friedens, der Insel, die ein
wahres Paradies war?
    Für Pepe kam die Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem
Himmel.
    Er sah etwas Großes, Mattschimmerndes wie eine gewaltige
silberne Wand vor sich.
    Er prallte dagegen und konnte nicht mehr ausweichen. Im gleichen
Augenblick krachte und barst es ringsum. Mehrere Palmen knickten um
wie Streichhölzer.
    Pepe erhielt einen Schlag gegen den Hinterkopf, ehe er der Gefahr
ausweichen und sich mit Hilfe eines Gedankens an einen anderen Ort
der Welt versetzen konnte.
    Sein Bewußtsein erlosch.
     
    *
     
    »Achtundneunzig, neunundneunzig, hundert.«
    Jim hielt es keine Sekunde länger zurück.
    Wie eine Rakete jagte er davon und lief über den
Erdhügel in den Palmenhain.
    Wie von einer unsichtbaren Hand festgehalten, blieb der Guuf
stehen.
    Er schüttelte sich, öffnete und schloß mehrmals
die Augen und wollte nicht glauben, was er sah.
    Von seinem erhöhten Standort aus hatte er einen
vortrefflichen Blick über den Palmenhain.
    Mehrere Bäume waren umgestürzt und lagen verschachtelt,
kreuz und quer übereinander.
    Also doch!
    Jim schluckte. Vorhin war es ihm so gewesen, als hätte er ein
Krachen und Splittern gehört, doch durch das Rauschen der
Brandung und dem gleichmäßigen Wind, der stets vom Meer
her wehte, hatte er das Geräusch nicht so genau beachtet. Er
maß ihm einfach keine Bedeutung zu.
    Whiss, dieser Schlingel, imitierte, wenn ihm der Kopf danach
stand, Lokomotivpfeifen, ratternde Autos, abstürzende Flugzeuge,
zusammenbrechende Bäume. Er kam auf die verrücktesten
Ideen, und kein Mensch nahm sie ihm übel.
    Aber diesmal hatte Whiss nichts mit dem zu tun, was dort vorn
passiert war.
    Bäume waren abgeknickt, ohne daß es dafür einen
plausiblen Grund gab. Und wenn Pepe zur gleichen Zeit…
    Jim wagte gar nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Tiefes
Erschrecken hatte ihn gepackt, und er rannte, als wäre der
Teufel leibhaftig hinter ihm.
    Jim nahm den kürzesten Weg. Er achtete nicht auf die niedrig
hängenden Zweige an den Hibiskus-Sträuchern, die ihn
streiften und Kratzer auf Händen und im Gesicht
verursachten.
    Der junge Guuf erreichte die fragliche Stelle.
    »Pepe?« rief er, während er sich gleichzeitig in
der Dämmerung des Palmwaldes umsah. Der Ruf hallte laut durch
die klare Luft. »Gib mir Antwort, bitte… wir wiederholen
das Ganze noch mal. Aber hier ist etwas passiert, und ich weiß
nicht…« Abrupt unterbrach er sich.
    Er sah plötzlich, daß tatsächlich etwas passiert
war. Seine Befürchtung wurde zur Gewißheit.
    Unter den Blättern ragte eine kleine braune Hand hervor, die
sich verkrampft in den Boden gekrallt hatte.
    »Pepe!« entrann es den Lippen Jims wie ein Hauch.
    Der Guuf zögerte keine Sekunde.
    Er räumte vorsichtig Blätter und Zweige beiseite,

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